Was Sie schon immer über Rudolfsheim-Fünfhaus wissen wollten …
Seit 1927 befindet sich im Bereich Wurzbachgasse 2 – 8 / Hütteldorfer Straße 2a / Sorbaitgasse 3 der Vogelweidhof – im Volksmund auch „Märchenhof“ genannt. Was befand sich aber davor an dieser Stelle? Hier erfahren Sie mehr …
Sie interessieren sich für interessante Details aus Vergangenheit & Gegenwart von Rudolfsheim-Fünfhaus, dem 15. Wiener Gemeindebezirk? Dann sind Sie hier richtig beim Blog WIENfünfzehn!
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Es war einmal ein Friedhof
Auf dem Gebiet des Märzparks und der Wiener Stadthalle befand der Schmelzer Friedhof. Dieser war einer der fünf Kommunalfriedhöfe (Mehr dazu finden Sie u.a. hier), die 1784 von Josef II. vor dem Linienwall als Ersatz für die geschlossenen Vorstadt-Friedhöfe von Wien außerhalb des Linienwalls angelegt wurden.

Mit rund 74.000 Quadratmetern war der Schmelzer Friedhof der größte unter den „kommunalen“ Friedhöfen. Er wurde 1874 für weitere Bestattungen gesperrt. Der Friedhof verwilderte und diente als beliebtes Malermotiv.

Seit 1892 befand er sich im Stadtgebiet Wiens.

Vom Totengräberhäuschen …
Neben dem Eingang zum Schmelzer Friedhofs befand sich das Totengräberhäuschen. Auch dieses war ein beliebtes Motiv für Fotograf*innen und Maler*innen.


… zum „stolzen Volkswohnpalast“
1926 wurde der Plan, anstelle des Totengräberhäuschen und Teilen des Schmelzer Friedhofs, einen städtischen Wohnbau anzulegen, in die Tat umgesetzt.
„Dann kam ein Tag, an dem die alte Friedhofsmauer verschwand und die geheimnisvollen Grabsteine weggeführt wurden„. Und statt der „Monumente des Todes“ wurden Wege und Beete angelegt und „ein stolzer Volkswohnpalast vier und fünf Stockwerke übereinander“ in der Karl-Marx-Straße 4 (benannt am 6. November 1919, seit 30. Jänner 1929 Teil der Hütteldorfer Straße; ursprünglich Aufmarschstraße).
Zitate aus: Das Kleine Blatt 11.10.1927
Zwischen 1926 und 1927 entstand dort ein riesiger Wohnbau mit ursprünglich 130 Wohnungen.
Das Kleine Blatt vom 11.10.1927 widmet diesem Thema unter dem Titel „Die sterbende Schmelz. Wie ein neues Stadtviertel entsteht“ einen zweiseitigen Artikel.

Hier ein kurzer Ausschnitt. Interessant ist, dass der Bau zwischen 1927 und der Benennung 1930 anscheinend „Karl-Marx-Hof“ genannt wurde, da das kurze Straßenstück der Hütteldorferstraße bis zum heutigen Märzpark von 1919-1929 Karl-Marx-Straße hieß.
Der heutige Karl-Marx-Hof in Wien Döbling, Heiligenstädter Straße 82-92, wurde 1930 eröffnet und ist mit ungefähr 1050 Metern Länge der längste zusammenhängende Wohnbau der Welt.

Transkript
Die Schmelz stirbt. Aber nur verspießerte Sentimentalität könnte darob weinen. Ist doch der Tod der Schmelz hundertfaches Auferstehen neuen Lebens, Beginn neuer Stadtviertel, Fortschritt und Entwicklung! Denn nur die alte Schmelz, Sinnbild des Kaiserstaates von einst, stirbt; die neue Schmelz der Schrebergärten, Sportplätze, Parkanlagen und Wohnhäuser wächst als ein Stück des neuen und schöneren Wiens, das überall ersteht und gedeiht.
Neu=Fünfhaus
Zwischen Gürtel und Vogelweidplatz blieb die Schmelz lange unbesiegt. Der Friedhof, ein paar leere Lagerplätze und papierl-und scherbenbedeckte Grundstücke brachten bis an den Gürtel, nur durch eine dünne Häuserzeile von ihm getrennt, ein Stück Wildnis heran, das mitten im Häusermeer der Großstadt lag. Der alte Friedhof wirkte inmitten dieser Umgebung doppelt ergreifend; oft warfen wir als Kinder einen Blick leise schauernder Neugier durch das kleine Gitterpförtchen in der Wurzbachgasse, durch das man alte, wehmütig geneigte Grabsteine, von wucherndem Efeu umsponnen, sehen konnte.
Dann kam ein Tag, an dem die alte Friedhofsmauer verschwand und die geheimnisvollen Grabsteine weggeführt wurden.
Und zusammen mit den Monumenten des Todes wichen die weiter südwärts gelegenen Schrebergärten. Wege wurden angelegt, Beete gegraben, noch ein paar Wochen und die ganze Anlage wird fertig sein. Und sie beherrschend erhebt sich ein stolzer Volkswohnpalast vier und fünf Stockwerke übereinander getürmt: das Haus Karl-Marx-Straße 4.
Transkript Ende

Im August 1927 löste die elektrische Straßenbeleuchtung die frühere Gasbeleuchtung ab.

1930 erhielt der Gemeindebau den Namen Vogelweidhof (nach dem Minnesänger Walther von der Vogelweide).


Der Bau wurde nach Plänen des Architekten Leopold Bauer (1872-1938), einem Schüler Otto Wagners, im Bereich Wurzbachgasse 2 – 8 / Hütteldorfer Straße 2a / Sorbaitgasse 3 errichtet.

Der Vogelweidhof gilt als einer der am prächtigsten ausgestalteten Gemeindebauten in Wien. Der Bildhauer und Keramiker Robert Obsieger (1884-1958) schuf drei keramische Zierbrunnen, der Maler und Grafiker Franz Wacik (1883-1938) gestaltete die Deckengemälde in den Lauben, die Szenen aus Märchen und Wiener Sagen darstellen. Im Volksmund wird er Bau daher auch als „Märchenhof“ bezeichnet.

Rudolf Jettmar (1869-1939) schuf die Wandbilder in der Eingangshalle, auf welchen die Leistungen des Roten Wien – Krankenwesen, Sport, Wohnbau, Schulwesen – dargestellt sind.

Bemerkenswert sind auch die kannelierten Rundbogenreihen und der mächtige, wohnturmartige Hauptblock mit seiner nach außen gekragten, zinnenbekrönten Dachgeschoßzone.
Und zum Schluss noch eine Gegenüberstellung zweier Bilder des Vogelweidhofes: um 1930 und 2020



Damit genug für heute:
Gehaben Sie sich wohl!
Ihre Brigitte Neichl
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Jede Belehrung und Berichtigung, welche in Beziehung auf größere Vervollkommnung und Gemeinnutzmachung dieser Herausgabe beabsichtigt ist, wird mit dem ausgezeichnetsten Danke empfangen.
(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828
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Wieder ein paar Wissenslücken geschlossen, Danke für diesen Beitrag (und die wie immer gute Dokumentation hier im Web).
Liebe Grüße
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