🔪Eine Greisin im Schlaf abgeschlachtet: Der Raubmörder Anton Senekl (1902)

Lesen Sie heute Teil 8 unserer neunteiligen Serie „History & Crime in Rudolfsheim (Fünfhaus) Anno dazumal“ von Barbara Büchner.

Barbara Büchner hat in Archiven recherchiert, dutzende Zeitungsartikel durchforstet und spektakuläre Fälle zusammengetragen, die sich auf dem Gebiet des heutigen 15. Bezirks zugetragen haben oder von Personen handeln, die im heutigen Rudolfsheim-Fünfhaus wohnhaft oder beruflich (oder sonst wie) tätig waren.

Verfolgen Sie mit uns den Raubmord des Anton Senekl an der greisen Trafikantin Wilhelmine Jüllich von Julienthal. Als Quelle dient u.a. die „Neue Freie Presse“ vom 23. Februar 1903.

History & Crime

Das Selbstmörderbankerl

Am frühen Morgen des 10. August 1902 patrouillierte der Sicherheitswachmann Johann Eckersdorfer im Prater, als er auf dem sogenannten „Selbstmörderbankerl“ einen verdächtigen Mann sitzen sah.

Das einsame Bankerl auf dem „Selbstmörderhügel“ im Prater, auf dem schon viele Verzweifelte ihrem Leben ein Ende gemacht hatten. Es spielte eine wichtige Rolle in der berühmten Novelle „Leutnant Gustl“ von Arthur Schnitzler. Illustration: Moritz Coschelli. Bild: WikiMedia, gemeinfrei.

Der Beamte sprach der vermeintlich Lebensmüden an. Es folgte eine dramatische Szene, wie die „Neue Freie Presse“ am 23. Februar 1903 (Ausgabe der Gerichtsverhandlung) berichtet:

„Der Bursche leistete nun heftigen Widerstand und biss dabei den Wachmann in den Knöchel der rechten Hand, sodass Eckersdorfer vor Schmerz laut aufschrie.

Gleichzeitig suchte der Verhaftete ein dolchartiges Messer zu ziehen, das er unter dem Rock verborgen hatte. Doch der Wachmann umklammerte mit eiserner Faust die Hand des Burschen, bis (sein Kollege, Anm.) Inspektor Rosenzweig, der den Schrei gehört hatte, herbeigekommen war.

Noch ein zweiter Wachmann eilte zur Stelle, aber nur mit Mühe konnte der Bursche überwältigt und auf das Polizei-Kommissariat Prater gebracht werden.“

„Neue Freie Presse“ am 23. Februar 1903

Transkript Ende

Wachmann höherer Gebühr

Zu dem Zeitpunkt wusste Eckersdorfer noch nicht, dass er gerade einen großen Schritt zu seiner Beförderung gemacht hatte: Schon wenig später wurde er vom Polizeipräsidium außertourlich zum „Wachmann höherer Gebühr“ befördert.

Der rabiate Häftling war nämlich der fieberhaft gesuchte Raubmörder Anton Senekl, (auch Schenekel oder Schoenekl, die Schreibweisen differieren), der kurz zuvor der greisen Trafikantin Wilhelmine Jüllich von Julienthal mit mehreren Messerstichen die Brust durchstoßen und den Hals beinahe zur Gänze durchtrennt hatte, als sie friedlich schlafend in ihrem Bett lag. Die Beute hatte er bereits verjuxt, nur noch ein Dutzend Lotterielose und ein paar Schachteln Zigarren waren ihm geblieben …

Trafik

Der Name Trafik – den Begriff findet man bereits in einem Schreiben von Kaiser Joseph II., der 1784 das Tabakmonopol erließ – kommt von dem italienischen Wort traffico = Handel.Eine Trafik (Betonung auf der zweiten Silbe, Mehrzahl Trafiken) ist in Österreich eine Verkaufsstelle für Tabakwaren, Zeitungen, Magazine, Schreibwaren, Post- und Ansichtskarten und andere Kleinwaren wie Fahrscheine für städtische Verkehrsmittel sowie den Fernreisezug Westbahn sowie Parkscheine für Kurzparkzonen in Wien. Ebenso sind in vielen Trafiken ASFINAG-Vignetten zur Benutzung der Autobahnen und Schnellstraßen erhältlich. Auch die inzwischen abgeschafften Stempelmarken durften in Trafiken verkauft werden. Nur wenige Trafiken verkaufen noch Briefmarken, seitdem die Post die Provisionen reduziert hat, die meisten fungieren aber zusätzlich als Lotto- und Totoannahmestellen, für die ebenfalls eine Genehmigung der Monopolverwaltung notwendig ist. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Tabaktrafik

In einem solchen Altwiener Häuschen (im Bild die Ecke Grimmgasse – Oelweingasse) betrieb die alte Frau ihre bescheidene Tabaktrafik. Der winzige Laden stieß unmittelbar an eine ebenso kleine, ebenerdige Zimmer-Küche-Wohnung.

Die Stadt ist erschüttert

Der Raubmord hatte ganz Wien erschüttert. Zahlreiche große Zeitungen berichteten über die Entdeckung des Verbrechens, die Jagd nach dem Mörder und seine Hinrichtung.

Der Raubmord hatte ganz Wien erschüttert. Zahlreiche große Zeitungen wie die „Reichspost“, „Das interessante Blatt“, die „Arbeiter-Zeitung“, das „Vaterland“ und andere berichteten ausführlich über die Entdeckung des Verbrechens, die Jagd nach dem Mörder, dessen gewalttätiges und reueloses Verhalten im Gefängnis, den Prozess, und schließlich die erschütternde Hinrichtung im Galgenhof des Wiener Landesgerichts.

Dabei waren Opfer und Täter gleichermaßen „kleine Leute“, von denen zu ihren Lebzeiten wohl kaum jemand Notiz genommen hatte.

Die kleine Trafik in der Grimmgasse

Die 81jährige Wilhelmine Jüllich von Julienthal, Waise eines Hauptmanns der k.k. Armee, brachte sich seit 47 Jahren kümmerlich mit dem Vertrieb von Tabakwaren und Lotterielosen in ihrer kleinen Trafik in der Grimmgasse 37 durch. TrafikantInnen waren grundsätzlich arme Leute: Trafiklizenzen wurden von Anfang an Kriegsinvaliden, Soldatenwitwen und schuldlos verarmten Beamten zu ihrer Versorgung zugestanden. Ihre bescheidenen Ersparnisse wurden der alten Frau zum Verhängnis.

Das Opfer

Wilhelmine von Jüllich, die in bescheidenen, geordneten Verhältnissen lebte, folgte Abend für Abend derselben Routine:

Sie ließ zwischen 9 und Viertel zehn Uhr abends die Trafik durch die Bedienerin Barbara Weber sperren, zog sich in ihre Wohnung zurück, begab sich zu Bett und ließ sich dann von der Bedienerin allein in der Wohnung einschließen, wobei Frau Weber die Schlüssel behielt, bis sie am nächsten Morgen Wohnung und Laden aufsperrte.

So war es auch am 8. August 1902. Als ihre Bedienerin am nächsten Morgen die Wohnung betrat, bot sich ihr ein grausiger Anblick: Die Wohnung war offensichtlich durchwühlt worden, das Opfer lag in einer Blutlache tot im zerwühlten Bett, den Hals fast zur Gänze abgetrennt.

Der Fall der ermordeten Trafikantin Wilhelmine Jüllich von Julienthal, fand sogar Eingang in die „Wiener Kriminalchronik“, die Hofrat Max Edelbacher und der Leiter des Wiener Kriminalmuseums, Harald Seyrl, gemeinsam erstellten. Edition S, Verlag Österreich 1993, ISBN 3-7046-0421-6, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

Die Arbeiterzeitung berichtet

Rückblickend berichtet die Arbeiter-Zeitung vom 23. Februar 1903, die Anklageschrift zitierend, noch einmal von den näheren Umständen der Tat:

Transkript Barbara Büchner

Mord an der Schlafenden

„Die Erhebungen führten zu der begründeten Annahme, dass sich der Täter abends in das Zimmer geschlichen, wahrscheinlich unter dem Bett verborgen gehalten, die im Bette liegende und schlafende Jüllich überfallen und ermordet, verschiedene Sachen und Geld genommen habe und durch eines der Fenster, dessen einer Flügel in der Früh offenstehend gefunden wurde, hinausgestiegen war.

Die gerichtliche Obduktion der Leiche der Wilhelmine von Jüllich ergab, dass die Genannte fünf bedeutende Stichverletzungen erhalten hatte und an Verblutung gestorben ist. Zwei Stiche gingen mit gemeinsamer Eingangsöffnung tief durch die Gebilde des Halses, durch die hintere Rachenwand, die Hinterwand des Kehlkopfes und unter Durchtrennung verschiedener wichtiger Blutgefäße bis in die Wirbelsäule.

Der Tod muss sehr schnell eingetreten sein. Sie musste im Schlaf überfallen, mithin tückisch und meuchlerisch getötet worden sein. Die Ärzte stellten fest, dass sie trotz ihren hohen Alters noch relativ gut erhalten und recht gut genährt war.

Aus der Wohnung und der Trafik waren, wie dies eine spätere Nachschau ergab, einige Pretiosen und Silbersachen, ein Zwicker der Ermordeten, sämtliche Brief- und Stempelmarken, eine Anzahl von in Kommission zum Verkauf gewesenen Losen, Zigarren, endlich eine schwarze Handtasche sowie Bargeld in verschiedenen Münzen geraubt worden.

Von dem Täter hatte man zuerst fast keine Spur. Der Abdruck eines offenbar rechten Fußes auf einem rot-wollenen Tuch und der Umstand, dass sich am Abend des 8. August ebenso wie an den vorhergegangenen Abenden ein junger Bursche gegenüber der Trafik verdächtig benommen hatte waren die einzigen Anhaltspunkte für eine Verfolgung in einer bestimmten Richtung.“


Arbeiter-Zeitung vom 23. Februar 1903

Transkript Ende

Arbeiter-Zeitung vom 23. Februar 1903 -Originaltext (ANNO)

Der Täter: Ein „verkommenes Subjekt“ oder „Opfer der Gesellschaft“?

Polizeifoto von Anton Senekl. Bild: „Wiener Kriminalchronik“, Edition S, Verlag Österreich 1993, ISBN 3-7046-0421-6, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber Max Edelbacher und Harald Seyrl.

Der Täter wurde rasch gefasst, nachdem er das geraubte Geld innerhalb eines Tages und einer Nacht in Praterlokalen verjuxt hatte. Die „Arbeiter-Zeitung“ vom 23. Februar 1903 kommentiert im Prozessbericht:

„Arbeiter-Zeitung“ vom 23. Februar 1903

Als Gaffer zurück an den Tatort

Er wurde nicht nur eindeutig als der auffallend jugendlich wirkende Mann identifiziert, der sich mehrere Tage vor der Trafik herumgetrieben hatte und nach dem Mord unter den Gaffern am Tatort gesehen worden war. Objekte aus dem Besitz der Toten, wie deren horngerahmter „Zwicker“, wurden bei ihm gefunden. Der „Hirschfänger“, mit dem er den Wachmann Johann Eckersdorfer bedrohte, erwies sich eindeutig als das Mordinstrument.

Die Tatwaffe: Ein Hirschfänger

Bild: Fotograf Matthias Östling, Wikimedia, gemeinfrei.
Quelle: Wikipedia

Der Hirschfänger oder das Seitengewehr des Jägers ist eine rund 30 bis 40 cm lange Stichwaffe. Heute ist sie nur mehr als Zierde gebräuchlich. Historisch wurde der Hirschfänger zum Abfangen des Hirsches genutzt.

Mit einem Stich von vorn in das Herz tötete der Jäger das Tier, welches gestellt und/oder verwundet war. Von vielen Praktikern wird der Hirschfänger in seiner klassischen Form abgelehnt: Bemängelt wird die zu schmale Klinge, die im Brustkorb, an Herz, Lunge und großen Blutgefäßen zu wenig Verletzungspotential aufweist, um schnellstes Verenden des Tieres sicherzustellen.

Wohl zu Recht, denn der Raubmörder von der Grimmgasse 37 musste fünf (!) kräftige Stiche vollführen, um eine schlafende alte Frau zu töten.

Ein rätselhaftes Ungeheuer

Was die Öffentlichkeit verblüffte, war aber nicht nur die dumpfe Stupidität, mit der Senekl allen Beweisen zum Trotz Tage lang die Tat leugnete. Es war seine geradezu unmenschliche Gefühllosigkeit, seine ständige Bereitschaft zum Töten (im Gefängnis unternahm er einen Mordanschlag auf einen Justizwachebeamten und drohte einem Zellengenossen, „er werde dem noch die Gurgel rausbeißen“ – was man ihm offenbar durchaus zutraute, da dieser eiligst verlegt wurde). Für das „Publikum“ war er ein rätselhaftes Ungeheuer.

Das „Interessante Blatt“ berichtet in seiner Nummer 34 aus dem Jahr 1902:

Transkript Barbara Büchner

Das Geständnis des Raubmörders von Rudolfsheim

Die Schreckenstat in Rudolfsheim, die in der Vorwoche so viel Staub aufgewirbelt, hatte ein besonderes Moment aufzuweisen. Die Polizei war des Täters habhaft geworden, aber Anton Senekl leugnete trotz der gravierendsten Schuldbeweise, die sich immer mehr und mehr gegen ihn häuften, mit seltener Hartnäckigkeit alles. Es dauerte lange, bis er sich entschloss, ein volles, umfassendes Geständnis abzulegen. All das Geheimnisvolle, das den Mord umgab, war damit gelüftet.“

Das interessante Blatt, Nr. 34 / 1902

Transkript Ende

„Geheimnisvoll“ freilich war an dem ebenso brutalen wie simplen Raubmord rein gar nichts, auch nicht die Persönlichkeit des Täters. Im Steckbrief wird der zum Zeitpunkt der Tat 28-jährige Anton Senekl beschrieben als: „Sehr jung wirkend, von kleiner Statur, das Gesicht ist fast bartlos. Er hat eine gelblich-braune Gesichtsfarbe, die Wangen sind etwas gerötet.“ Ein „Milchbubi“ also, aber mit einer langen Latte an Vorstrafen.

Der Täter & sein Lebensweg

Originalseite der Arbeiter-Zeitung mit Senekls Lebensweg.

Senekl wurde 1874 in Knezitz in Mähren geboren. Seine Familie wird als anständig beschrieben.

1892 kam er nach Wien-Rudolfsheim, wo er bei einem Messerschmied das Handwerk („Feilenhauer“) erlernte und die nächsten acht Jahre bei verschiedenen Messerschmieden und Schlossern im Dienst stand.

1900 wurde er zum ersten Mal verurteilt: Wegen eines Diebstahls bekam er einen Monat Kerker aufgebrummt.

Die nächste Strafe folgte im darauffolgenden Juli wegen desselben Delikts, diesmal fiel sie härter aus: Sechs Monate Kerker.

Bald darauf wurde er in seiner Heimat Ratibor in Preußisch-Schlesien wegen eines Einbruchs verhaftet, brach jedoch am 12. Juli aus dem Gefängnis aus und flüchtete unerkannt nach Wien, wo er am 21. Juli anlangte.

Hier begab er sich zu seiner Geliebten, der Wäscherin Ludmilla Lhotak, in deren kleiner Wohnung in der Eduard-Sueßgasse 26 in Rudolfsheim er sich versteckte. Bei sich hatte er 60 Mark in Gold, die er seinem Meister gestohlen hatte.

Eine nicht unbeträchtliche Summe, denn um 1900 kostete

  • 1 Kilo Schweinefleisch: 1 Mark, 50 Pfennig
  • 1 Kilo Butter: 1 Mark, 86 Pfennig
  • 1 Liter Milch: 20 Pfennig
  • 1 Kilo Roggenbrot: 23 Pfennig
  • 1 Kilo Zucker: 65 Pfennig
  • 1 Kilo Kaffee: 4 Mark, 15 Pfennig
  • 1 Liter Bier: 24 Pfennig
  • Einen tadellosen Herrenanzug konnte man, je nachdem, ob gebraucht oder neu, für 10 bis 75 Mark erwerben.

Quelle: Geld und Kaufkraft ab 1871, Wikipedia

Wie die „Neue Freie Presse“ am 13. August 1902 berichtet, hatte der Häftling mit einem gefinkelten Trick verstanden, das gestohlene Geld ins Gefängnis zu schmuggeln und bei seiner Flucht mitzunehmen:

Transkript Barbara Büchner

„Er verstand es, die gestohlenen Goldstücke ins Gefängnis mitzunehmen, trotz der strengen Leibesvisitation, der jeder Häftling unterzogen wird.

Von seinen früheren Inhaftierungen war ihm die Art einer solchen Untersuchung bekannt und er wusste, dass man das Geld in den Kleidern und in den Stiefeln sofort finden würde. Deshalb klebte er sowohl die gestohlenen Goldstücke wie auch fünf weitere Goldstücke im Wert von 50 Mark außen an die Sohlen seiner Stiefel und überzog die Sohlen sodann mit einer Pechschicht. Nachdem er mit diesen auf solche Art präparierten Schuhen mehrmals durch den Straßenkot gegangen war, hatten die Sohlen wieder ihr normales Aussehen, und man konnte nicht ahnen, dass an diesen Sohlen die gestohlenen Goldstücke befestigt waren.

Als er nach seiner Flucht in Wien eintraf, kaufte er sich hier von dem mitgebrachten Gelde Kleider, Stiefel und einen Hut. Außerdem kaufte er seiner Geliebten Ludmilla Lhotak goldene Ohrgehänge und zwei Steckkämme. Auf diese Art war ein großer Teil des Geldes verausgabt.“

„Neue Freie Presse“ am 13. August 1902

Transkript Ende

Das Unheil nimmt seinen Lauf

Ludmilla freute sich zwar, ihn zu sehen, aber bleiben konnte Senekl nicht bei ihr, weil – so die Neue Freie Presse „sowohl der Quartiergeber seiner Geliebten wie auch diese selbst in ihn drängten, sich polizeilich zu melden. Er sagte, er kehre nach Ratibor zurück.“ Auf der Stelle legte er seine alten Lumpen wieder an, steckte den neuen Anzug in einen Handkoffer und ließ sich nicht mehr blicken. Den ebenfalls neu gekauften Hirschfänger trug er bei sich. Ludmilla Lhotak ahnte Schlimmes, wie die „Neue Freie Presse“ am 12. August 1902 auf Seite 5 berichtet:

Transkript Barbara Büchner

„Erwähnenswert ist der Umstand, dass die Geliebte des Senekl Ludmilla Lhotak, als er ihr das dolchartige Messer zeigte, von großer Furcht erfasst wurde. Sie fragte ihn, warum er sich ein so großes Messer angeschafft habe, worauf Senekl meinte, er benötige es zu seinem persönlichen Schutz bei den Wanderungen durch einsame Wälder seiner Heimat.

Nachdem er sich am 31.v. von seiner Geliebten entfernt hatte, äußerte diese Nachbarsleuten gegenüber: „Wenn nur der Anton mit dem Messer nichts anstellt!““


„Neue Freie Presse“ am 12. August 1902, Seite 5

Transkript Ende

Ihre Vorahnungen trogen sie nicht. Wie Senekl später gestand, „gab ihm die Not den schrecklichen Plan ein, an der Greisin den Mord auszuführen.“

Transkript Die Neue Freie Presse vom 12. August 1902, Barbara Büchner

Es war ihm auch schon von früher her bekannt, dass Fräulein v. Jüllich des Nachts allein war, und er kombinierte, dass in der Trafik oder im Wohnzimmer Geld – die Tageslosungen – verwahrt sein müsse.“

„Er kannte das alte Fräulein von früher her, da er einmal in der Grimmgasse Nr. 22 gewohnt hatte, und wusste, dass die Trafikantin unverheiratet war. Es war ihm auch schon von früher her bekannt, dass Fräulein v. Jüllich des Nachts allein war, und er kombinierte, dass in der Trafik oder im Wohnzimmer Geld —- die Tageslosungen —- verwahrt sein müsse.“ Die Neue Freie Presse vom 12. August 1902

Transkript Ende

Das Geständnis

Senekl hatte nach seinem langen anfänglichen Leugnen ein Geständnis abgelegt, dieses dann widerrufen, doch von Neuem die Tat zugegeben.

Bei der Gerichtsverhandlung gestand er schließlich ausführlich den gesamten Tathergang. Am Abend des 8. August, so der Angeklagte, habe er die Trafik beobachtet, und in dem Augenblick, als die Bedienerin wegging, um Wasser zu holen, sei er durch die Küche rasch ins Haus geschlichen und habe sich in dem kleinen Zimmer, das als Wohn- und Schlafzimmer diente, unter dem Bett versteckt. Dort lauerte er, während die nichtsahnende Wilhelmine Jüllich wie gewohnt zu Bett ging.

Nachdem er die Schlafende mit dem Hirschfänger getötet hatte, habe er sich die blutverschmierten Hände in der Waschschüssel gewaschen, die Leiche zugedeckt, eine Kerze angezündet und in Kasten und Laden nach Geld und Wertgegenständen gesucht. Dabei fand er einiges, übersah jedoch eine Zwanzig-Kronen-Note in der Kleidung der Ermordeten. Dann entfernte er sich ungesehen durch das ebenerdige Fenster.

Den Rest der Nacht verbrachte er bei Schmauserei, Tanz und galanten Abenteuern in diversen Pratergaststätten, bis er auf dem „Selbstmörderbankerl“ landete, wo ihn der Wachmann entdeckte.

Ein Ungeheuer, so der allgemeine Tenor der Zeitschriften. Stumpfsinnig. Reuelos. Stupid. Brutal. Nur an einem war er interessiert: Im Kerker verlangte er „schamlos schreiend nach einem Weib“.

Allein die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung sah den Menschen Anton Senekl differenzierter:

Transkript Barbara Büchner (Auszüge aus der Arbeiter-Zeitung vom 23. Februar 1903 anlässlich der Gerichtsverhandlung)

„Diesem Menschen fehlte jedes moralische Bewusstsein ebenso wie einem anderen der Gesichts- oder der Gehörssinn. (…) Ein Wesen, taub für alle Gesetze der Gemeinsamkeit, blind für den Unterschied zwischen Leben und Nichtleben (…) Seine tierischen Funktionen waren allein der Sinn seines Lebens: Nahrung zu sich nehmen, schlafen und zeugen, das waren seine Bedürfnisse. (…) Dass degenerierte Vorfahren, ein hilfloses Erziehungssystem, eine brutale Gesellschaftsordnung zu Tieren verkümmerte Menschen erzeugen, darüber braucht nicht weiter geredet zu werden.“

Arbeiter-Zeitung vom 23. Februar 1903

Transkript Ende

Das Urteil: Die Todesstrafe

Dass der Prozess nur mit einem Todesurteil enden konnte, war vorauszusehen gewesen. Die Neue Freie Presse vom 24. April 1903 berichtet:

Transkript Barbara Büchner

„Die Beratung der Geschworenen währte nur wenige Minuten (…) Die feige Grausamkeit der Tat, die offenkundige Verlogenheit des Täters und eine Reihe durchaus unsympathischer Züge der Persönlichkeit des Angeklagten hatten in gleicher Weise zu dem so rasch abgegebenen Todesurteil beigetragen.“

Neue Freie Presse vom 24. April 1903

Der Henker: Josef Lang

Auf Anton Szenekl wartete der Henker.

Das war Josef Lang (* 11. März 1855 in Simmering bei Wien; † 21. Februar 1925 ebenda), der letzte Scharfrichter Österreich-Ungarns. Er übte dieses Amt von 1900 bis zum Ende der Monarchie 1918 aus und vollstreckte in dieser Zeit 39 Todesurteile.

In der Donaumonarchie war der Würgegalgen spätestens seit 1870 das staatlich approbierte Hinrichtungsinstrument und kam bis zu ihrem Ende 1918 zum Einsatz.

Das Hängen wurde dabei an einem Richtpfahl vollzogen, an dem oben ein Seil an einem Haken befestigt war. Der Scharfrichter stand hinter dem Pfahl auf einem Podest. Bei der Hinrichtung brachten zwei Gehilfen den Todeskandidaten herbei, stellten ihn mit dem Rücken an den Pfahl und hoben ihn empor.

In diesem Moment legte ihm der Scharfrichter die Schlinge um den Hals, gleichzeitig wurde der Delinquent dann von den Gehilfen an den Schultern ruckartig Richtung Boden gedrückt.

Der Tote blieb nach der Hinrichtung noch mindestens eine Stunde lang am Pflock hängen, dann wurde er obduziert und in einem namenlosen Grab bestattet.

Dass es auf dem Wiener Zentralfriedhof eine spezielle „Mörderecke“ gäbe, ist ein Gerücht, die Gräber der Justifizierten wurden an verschiedenen, wenig besuchten Stellen zwischen alten Gräbern angelegt, sofort zugeschüttet und unkenntlich gemacht.

scharfrichter lang-17009491162451310572..jpg
Makaberes Fotoshooting: Der Würgegalgen in Aktion. Im Bild Mitte oben der Scharfrichter Josef Lang

Der Galgenhof im Landesgericht

Hinrichtungen fanden im so genannten „Leichenhof“ oder „Galgenhof“ des Wiener Landesgerichts statt; da seit 1873 keine öffentlichen Hinrichtungen mehr stattfinden durften.

Damals war es nämlich bei der Hinrichtung des Raubmörders Georg Ratkay bei der Spinnerin am Kreuz zu so widerlichen, „einem Volksfest ähnlichen“ Ausschreitungen gekommen, dass eine Welle von Abscheu die Öffentlichkeit und auch den Kaiser ergriff und dieser die entsprechende Anordnung erließ. Den Galgenhof gibt es nicht mehr, er wurde verbaut.

Der Würgegalgen mit den eingeritzten Daten der jeweiligen Exekutionen steht heute im Wiener Kriminalmuseum. „Populär“ wurde er durch den im Volk sehr beliebten Scharfrichter Josef Lang, der seinen Stolz darein setzte, dass bei ihm keine Exekution länger als eine Minute dauern dürfte – was etwas heißen will, wenn man bedenkt, dass sein Kollege Wohlschläger bei der Exekution einer Juliane Hummel, die ihre Tochter über Wochen hinweg zu Tode misshandelt hatte, 45 Minuten lang herummurkste.

Lang machte sich einen medizinischen Trick zunutze: Er verwendete ein sehr dünnes, weiches, mit Seife schlüpfrig gemachtes Seil, das durch Druck auf die Gabelung der Halsschlagadern („Sinus-Carotis-Effekt“) eine schlagartige tiefe Bewusstlosigkeit herbeiführte.

Erst in weiterer Folge trat durch die fortdauernde Unterbrechung der Blutzufuhr der Tod ein. Seine Methode, so erklärte er stolz, sei keineswegs schmerzhaft, sondern „erwecke angenehme Gefühle“, was er in diversen Selbstversuchen festgestellt hatte.

Josef Lang war, nebstbei bemerkt, „Mitglied zahlreicher wohltätiger Gemeinschaften“, wie seine Witwe stolz auf dem Partezettel vermerken ließ.

Bild: WikiMedia

Exkurs Todesstrafe

Nach dem Untergang der Monarchie wurden mit Wirkung vom 3. April 1919 (Artikel 85 der Bundesverfassung) Hinrichtungen in strafrechtlichen Verfahren verboten. Bestehen blieb die äußerste Strafdrohung nur mehr im Kriegsrecht. Diesen Passus im Gesetz nutzte man 1933 zu einer Wiedereinführung der Todesstrafe für „Verbrechen gegen den Staat“, also gegen den politischen Gegner. Bis 1938 kam es zu 141 Todesurteile und 44 Hinrichtungen besonders in der Zeit des Bürgerkriegs und des autoritären Ständestaats. Auch nach dem Ende des dritten Reiches mit seinen Massenhinrichtungen (durch das Fallbeil) und dem Wiedererstehen der Republik blieb die Todesstrafe noch fünf Jahre lang in Gebrauch.

Letzte Hinrichtung: 1950

Als letzter ziviler Delinquent wurde am 24. März 1950 der Doppelmörder Johann Trnka gehängt. Danach fanden keine Hinrichtungen mehr statt, allerdings dauerte es noch bis zum Jahr 1968 (!), ehe es nicht nur in der Praxis, sondern auch auf dem (Gesetzes-)Papier zur Totalabschaffung der Todesstrafe in Österreich kam und diese auch für standrechtliche Verfahren (Militärgerichte) aus der österreichischen Verfassung eliminiert wurde.

Erst 1968 kam es zur Totalabschaffung der Todesstrafe in Österreich

Das Ende des Raubmörders Anton Senekl

Doch zurück zum Raubmörder Anton Senekl. Über sein Ende berichtet die Neue Freie Presse am 24. April 1903:

Transkript Barbara Büchner

„Die Entscheidung über das Schicksal des Mörders Schöneckl (!)ist gefallen. Um 13.42 Uhr Mittags wurde Schöneckl das Todesurteil publiziert (bekannt gegeben, Anm.). Zwei Justizsoldaten brachten den Delinquenten in die Isolierzelle, wo sich unmittelbar darauf die Kommission, bestehend aus dem Ober-Landesgerichtsrat Baron Distler, Ober-Landesgerichtsrat Granichstädten und den Landesgerichtsräten Faschingbauer und Pelorum einfand. Baron Distler teilte dem Delinquenten mit, dass der Kaiser von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch gemacht habe, und dass Schöneckl’s Hinrichtung morgen Früh um 7 Uhr erfolgen werde·“

Neue Freie Presse am 24. April 1903

Transkript Ende

Ein letzter Besuch der Geliebten

Senekl zeigte sich ungerührt, lehnte auch jeden geistlichen Zuspruch ab und äußerte sich, es sei ihm lieber, gehenkt zu werden als zwanzig Jahre im Kerker zu verbringen. Nur eine einzige, flüchtige Gefühlsbewegung ergriff ihn, als er den Besuch seiner Geliebten Ludmilla Lhotka empfing. Nach seiner Verhaftung hatte er ihr einen Brief geschrieben, in dem er um ihren Besuch bat, und als sie von der bevorstehenden Hinrichtung erfuhr, fand sie sich um halb sechs Uhr früh im Landesgericht ein, um ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Die Reichspost schildert das Gespräch:

Transkript Barbara Büchner

„Senekl wurde gefragt, ob er sie sehen wolle, worauf er erwiderte: Ja, sie soll nur kommen. Die Lhotka wurde nun in die Armesünderzelle geführt. Als Senekl seine Geliebte sah, ging er auf sie zu, reichte ihr die Hand und sagte: Es freut mich, dass du mich nicht verlassen hast! – Mit Tränen in den Augen erwiderte die Lhotka: Aber sowas Schreckliches! – Senekl sagte: Siegst, da lasst sich nix machen, aber schlecht schaust aus. Dann reichte er ihr wieder die Hand und bat sie: Schau auf´s Kind! – Senekl wollte sie nun küssen, seine Geliebte trat aber rasch zurück und der Kerkermeister führte sie hinaus.“

Reichspost 1903

Transkript Ende

Über seine Hinrichtung berichtet die Reichspost am 26. April 1903.

Die Hinrichtung Senekls

Mit einem Schimpfwort auf den Lippen ist heute früh um 7 Uhr der Raubmörder Anton Senekl am Galgen gestorben, verstockt, reuelos bis zum letzten Moment. (…)

Senekl (von zwei Gefangengenwärtern geführt, Anm.), der einen schwarzen Sakko-Anzug trug, hatte die Oberarme mit schwarzen Riemen, die Handgelenke mit einem Strick gefesselt. Das Gesicht war totenbleich, fast bläulich verfärbt, das Gesicht zu einer verzweiflungsvoll höhnenden Fratze verzerrt. Mit den unheimlich rollenden Augen musterte er rasch die Umstehenden.

Landesgerichtsrat Pokorny sagte als Exekutionsleiter mit einer Handbewegung zu dem Scharfrichter: „Walten Sie Ihres Amtes!“ In diesem Moment hatten auch schon zwei Gehilfen den Delinquenten bei den Füßen und am Oberkörper gepackt und am Galgen in die Höhe gehoben. Scharfrichter Lang war die Stufen hinter dem Galgen emporgestiegen, um dem Delinquenten die Laufschlinge um den Hals zu legen, da rief Senekl mit ziemlich gut vernehmbarer, dumpfer Stimme: „Leckt´s mi ….“


Reichspost, 26. April 1903.

Transkript Ende


meine meinung

Heute nennen wir einen solchen Verbrecher einen Soziopathen – ein kluges Wort, aber keine Erklärung. Die „Arbeiterzeitung“ kommentierte damals seine letzten Worte: „Mit einer Gebärde des Hohnes und der Gleichgültigkeit hat Senekl von der menschlichen Gesellschaft Abschied genommen. Die Gesellschaft hat ihm auch niemals ein anderes zugekehrt!“ Hätte der moderne Strafvollzug ihn bessern können? Oder hätte er auch den Psychiatern und Sozialarbeitern nur gesagt: „Leckt´s mi….“? Wir wissen es nicht.


Verfügen Sie über weitere Informationen zu Anton Senekl, Ludmilla Lhotka oder Wilhelmine Jüllich von Julienthal? Dann freuen wir uns, wenn Sie uns diese zukommen lassen! Kontakt: office@bm15.at

Video zum Beitrag

Quellen:

  • ANNO
  • Wiener Kriminalchronik, Edition S, Verlag Österreich 1993, ISBN 3-7046-0421-6
  • Harald Seyrl (Hrsg.): Die Erinnerungen des österreichischen Scharfrichters. Erweiterte, kommentierte und illustrierte Neuauflage der im Jahre 1920 erschienenen Lebenserinnerungen des k.k. Scharfrichters Josef Lang. Edition Seyrl, Wien 1996, ISBN 3-901697-02-0.
  • Wikipedia

Teil 9 – den letzten unserer Serie „Sex & Crime in Rudolfsheim (Fünfhaus) Anno dazumal“ können Sie am 18.03.2019 hier auf unserem Blog lesen.

Diese und weitere Geschichten finden Sie auch in unserer Edition Bezirksmuseum 15 Nr. 10, die zum Unkostenbeitrag von € 7,- zu den Öffnungszeiten im Museums erhältlich ist.


Hier finden Sie alle Artikel unserer Serie „History & Crime in Rudolfsheim“

Teil 1: Die Verhaftung des Einbrecherkönigs Johann Breitwieser (1918)
Teil 2: Die Hyäne der Armen – Der Kinder-Betrüger Georg Prödinger (1905)
Teil 3: Von einer Greisin erstochen – Das Ende des „Revolvergustl“ (1928)
Teil 4: Der Gattinnenmörder Anton Karner – Eifersucht in der Enge der Proletarierwohnung (1913)
Teil 5: Motorführer Johann Prügl als Dienstmädchenmörder (1905)
Teil 6: Der Raubmörder und der tapfere Wirt (1920)
Teil 7: „Noch 48 Stunden, dann hol ich ihn mir, den Hager“ (1911)
Teil 8: Eine Greisin im Schlaf abgeschlachtet: Der Raubmörder Anton Senekl (1902)
Teil 9: Raubmord an einem Kind – Der Fall Rudolf Kremser (1914)


Sie haben noch nicht genug von „History & Crime in Rudolfsheim“?
In unserer Broschüre „Blut im Beisl. Historische Kriminalfälle in Gasthäusern des 15. Bezirks um 1900“ können Sie weiterschmökern.


Liebe Leserin, lieber Leser!

Ihnen fehlt etwas? Sie haben weiterführende Informationen?
Dann schreiben Sie doch einfach einen Kommentar. Nützliche Inhalte mit Quellenangabe bauen wir – mit Verweis auf Ihren Kommentar – gerne noch in den Text ein. Alternativ können Sie uns auch ein Mail an office@bm15.at schicken!

Oder wie es Anton Ziegler 1828 (*) so schön ausgedrückt hat:

Jede Belehrung und Berichtigung, welche in Beziehung auf größere Vervollkommnung und Gemeinnutzmachung dieser Herausgabe beabsichtigt ist, wird mit dem ausgezeichnetsten Danke empfangen.

(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828

Gefällt Ihnen der Artikel? Dann teilen Sie ihn doch mit Ihren FreundInnen!

Schau mal! Ich hab was Interessantes auf WIENfünfzehn entdeckt!

4 Kommentare zu „🔪Eine Greisin im Schlaf abgeschlachtet: Der Raubmörder Anton Senekl (1902)

Hinterlasse einen Kommentar