„Noch 48 Stunden, dann hol ich ihn mir, den Hager“ (1911)

Lesen Sie heute Teil 7 unserer neunteiligen Serie „History & Crime in Rudolfsheim (Fünfhaus) Anno dazumal“ von Barbara Büchner.

Barbara Büchner hat in Archiven recherchiert, dutzende Zeitungsartikel durchforstet und spektakuläre Fälle zusammengetragen, die sich auf dem Gebiet des heutigen 15. Bezirks zugetragen haben oder von Personen handeln, die im heutigen Rudolfsheim-Fünfhaus wohnhaft oder beruflich (oder sonst wie) tätig waren.

Verfolgen Sie mit uns den Rachemord des Johann Beck im „Gasthaus zum Schwarzen Adler“.

Als Quelle dient u.a. die „Illustrierte Kronen-Zeitung“ vom 19. Dezember 1911.

History & Crime
Handschellen

Im Wirtshaus erschossen – eine Bluttat in Rudolfsheim

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Illustrierte Kronen-Zeitung, Wien, 19. Dezember 1911

Transkript (Barbara Büchner) aus der Illustrierten Kronen-Zeitung, Wien, 19. Dezember 1911, Titelblatt, Seite 5 und 6 (Auszug)

Im Schankzimmer des Gasthofes „Zum Schwarzen Adler“ in Rudolfsheim, Schwendergasse 41, hat sich gestern nachmittags eine aufsehenerregende Bluttat abgespielt. Der 36jährige Obsthändler Johann Beck, Hietzing, Linke Wienzeile 6 wohnhaft, hat den 30jährigen Kutscher Karl Hager, mit dem er seit einiger Zeit in Unfrieden lebte, durch drei Revolverschüsse in den Kopf getötet und ist dann geflüchtet. Die blutige Mordtat wurde im Bezirke bald bekannt und Hunderte von Neugierigen umstanden bis in die späten Nachtstunden das Gasthaus, in dem sich die Bluttat ereignet hat.

Transkript Ende

In der Schwendergasse 41, nahe des einstigen Vergnügungs-Etablissements „Schwenders Colosseum“, dort, wo sich heute der Hans-Holoubek-Hof erhebt, stand 1911 das in ganz Wien bekannte und beliebte „Gasthaus zum Schwarzen Adler“.

Da es besonders von den Markthändlern des nahen Schwendermarktes frequentiert wurde, mag es dort gelegentlich etwas ruppig zugegangen sein. Einmal wurde die gemütliche Wirtschaft Schauplatz aber auch zum Schauplatz einer blutigen Untat:

Am 19. Dezember 1911 übte der Obsthändler Johann Beck dort wegen einer geringfügigen Beleidigung blindwütige Rache, indem er seinen „Haberer“, den Kutscher Karl Hager, in der voll besetzten Gaststube mit drei Revolverschüssen tötete.

Mit weiteren Morden und Selbstmord drohend, stürmte der Schütze davon. Einen Tag und eine Nacht lang zitterte Wien vor dem flüchtigen Mörder, der sich im Wienerwald herumtrieb, bis es durch einen Großeinsatz der Polizei gelang, den Mann dingfest zu machen.

Dennoch entzog sich Johann Beck der irdischen Gerechtigkeit. In einer Zelle des Landesgerichtes beging er noch in der Untersuchungshaft Selbstmord.

Und das alles wegen einer „Watschn“…

Der Tatort

Der Tatort – Das „Gasthaus zum Schwarzen Adler“ – hat eine lange Geschichte: Um 1750 zum ersten Mal urkundlich erwähnt, gehörte es zu den ältesten Häusern am Braunhirschengrund.

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Gasthaus zum Schwarzen Adler um 1900

Das obige Bild zeigt nur noch einen schwachen Widerschein dessen, was es in seiner Glanzzeit war:

Als kleine Kopie des Jagdschlosses Schönbrunn wurde es von einem Kammerherrn der Kaiserin Maria Theresia, Herrn von Hahn, erbaut. Damals gehörte zum Wohnhaus ein Herrschaftsgarten mit allem barocken Schnickschnack, wie beschnittenen Alleen, Springbrunnen und Grotten, der sich bis zur heutigen Sechshauser Straße erstreckte.

Die folgenden Besitzer waren offenbar mehr praktisch gesinnt: Sie gestalteten den ehemaligen Herrschaftssitz zum Einkehrwirtshaus um und gaben ihm die neue Schildbezeichnung „Zum Schwarzen Adler“.

Das Gebäude wurde 1968 abgetragen. Heute befindet sich an dieser Stelle die Volkshochschule Rudolfsheim, das  „Haus der Begegnung“ und eine Bücherei.

Die Vorgeschichte zur Bluttat

Transkript (Barbara Büchner) aus der Illustrierten Kronen-Zeitung, Wien, 19. Dezember 1911, Titelblatt, Seite 5 und 6

Eine verhängnisvolle Lustfahrt im Automobil.

Der Obsthändler Johann Beck kam vor ungefähr vierzehn Tagen in einem Automobil vor dem Gasthause „Zum Schwarzen Adler“ an und fand dort seine Bekannten, den Kutscher Karl Hager und den Viehtreiber Kunz, die er einlud, mit ihm eine Spazierfahrt zu machen. Alle drei setzten sich dann in das Automobil und fuhren davon. Aber nicht weit, denn schon beim nächsten bekannten Gasthause wurde „Station“ gemacht und die drei stärkten sich durch einen Trunk. Bei diesem Anlasse kam es zwischen Beck einerseits und den zwei anderen zu einem Streit, der damit endete, dass Hager dem Beck einen Zündstein an den Kopf schlug und ihn verletzte. Von dieser Stunde an herrschte zwischen ihnen bittere Feindschaft. Beck klagte den Hager und heute hätte beim Bezirksgerichte die Verhandlung stattfinden sollen.

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Bild: Wikipedia, Autor: Fortepan – ID69

In einem solchen „Kraftwagen“ der WAF mag die „verhängnisvolle Lustfahrt“ stattgefunden haben, denn seit 1911 produzierte die Wiener Automobil-Fabrik GmbH in der Nachfolge der Autofabrik Bock & Hollender Automobile und Lastkraftwagen in Österreich-Ungarn, später Österreich. Das Unternehmen ist nicht zu verwechseln mit der Wiener Automobilfabrik AG, vorm. Gräf & Stift.

Unversöhnlich!

Beck hatte einen wütenden Groll gegen Hager und selbst die voraussichtliche Verurteilung Hagers konnte ihn nicht besänftigen. Er sann auch auf persönliche Rache und wiederholt äußerte sich Beck, er werde es dem Hager schon noch heimzahlen. Auch an Kunz wollte er sich rächen, sagte er. Seit acht Tagen soll Beck, wie Bekannte versichern, einen Revolver bei sich getragen haben, nur zu dem Zwecke, um mit Hager „abrechnen“ zu können.

Noch 48 Stunden!

Am letzten Samstag äußerte sich Beck wieder, dass Hager nur mehr 48 Stunden leben werde. „Ich hol´ mir ihn“, soll er gesagt haben, „und dann bringe ich mich um!“

Wieder gute Freunde.

Der merkwürdige Rachedurst Becks schien jedoch einem versöhnlicheren Gefühle gewichen zu sein, denn als Beck gestern gegen 11 Uhr vormittags in das Gasthaus „zum Schwarzen Adler“ kam, sah er im Schankzimmer den Hager sitzen und nahm an seinem Tische Platz. Er sprach mit ihm und es fand eine förmliche Versöhnung statt. Beck und Hager tranken und sangen miteinander, umarmten und küssten sich. Sie waren scheinbar wieder gute Freunde geworden, aber nur scheinbar, wie die kurz nachher erfolgte Bluttat deutlich erwies.

(…) Kein Misston herrschte, kein Wort des Streites war gefallen, als Beck plötzlich aufsprang, einen Revolver hervorriss und sich neben Hager stellend, aus nächster Nähe und in rascher Folge gegen den Kopf Hagers drei Schüsse abfeuerte.

Nach dem ersten Schuss sank Hager leicht hintenüber und stürzte nach den beiden anderen Schüssen bewusstlos und sterbend auf die Bank, die dem Tische entlang stand.

Wahnsinniges Entsetzen packte die zahlreichen im Lokale anwesenden Gäste. Man wollte sich auf Beck stürzen, aber der hielt schussbereit und drohend den Revolver in seiner rechten Hand, so dass keiner ihm zu nahen wagte.

Transkript Ende

Den Revolver immer noch schussbereit in der Hand haltend, flüchtete Beck aus dem Schwarzen Adler, und seine Spur verlor sich fürs erste. Später sollte man feststellen, dass er sich umgehend auf den Weg zu einem weiteren ausgewählten Opfer gemacht hatte, einer Marktfrau, die er sich ebenfalls „holen wollte“.

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Illustrierte Kronenzeitung 20.12.1911

Transkript Fortsetzung

Die vor Schreck wie versteinerten Zeugen der furchtbaren Bluttat waren bald wieder zu sich gekommen, man verständigte Polizei und Rettungsgesellschaft. Bei Hager kam jede menschliche Hilfe zu spät. Der Inspektionsarzt konnte nur den bereits eingetretenen Tod konstatieren. Die Schüsse waren aus solcher Nähe abgegeben worden, dass das Gesicht Hagers pulvergeschwärzt war und dass einzelne Pulverkörner ihm die Haut gedrungen waren. Die Leiche wurde bis zum Eintreffen der polizeilichen und landesgerichtlichen Kommissionen in ihrer Lage belassen.

Transkript Ende

Pulvergeschwärztes Gesicht“: Karl Hager wurde, diesem ärztliche Befund entsprechend, durch drei „relative Nahschüsse“ (zum Unterschied vom „aufgesetzten Nahschuss“) getötet. Es ergibt sich nämlich, je nachdem, aus welcher Entfernung das Projektil abgefeuert wurde, ein jeweils charakteristisches Bild der Schusswunde.

Jeder Einschuss, der Schmauch- und Pulverspuren auf der Haut des Opfers hinterlässt, aber sonst keine Zeichen für einen aufgesetzten Schuss (z.B. fehlende Stanzmarke), ist ein relativer Nahschuss. Die Illustration der Kronenzeitung ist also forensisch korrekt: Die Schüsse wurden auf wenig mehr als Armeslänge abgefeuert.

Quelle: Diverse Gerichtsmedizinische Lexika, bearbeitet von Barbara Büchner

Transkript Fortsetzung

 Die ersten Erhebungen.

Vom Polizeikommissariat Rudolfsheim fand sich Bezirksleiter Polizeirat Sturminger mit dem diensthabenden Oberkommissär Dr. Schally und Polizeibezirksarzt Doktor Baumgarten ein, vom Sicherheitsbüro erschien Kommissär Dr. Wahl, dann der Stellvertreter des Chefs des Agenteninstitutes, Kommissär Tandler mit mehreren Polizeiagenten. Später fand sich auch der Stellvertreter des Polizeipräsidenten Hofrat Freiherr v. Gorup ein, der im Einvernehmen mit Polizeirat Sturminger sofort die erforderlichen Maßregeln zur Verfolgung des flüchtig gewordenen Mörders anordnete. Am Tatorte selbst wurden auch mehrere Zeugen einvernommen, teils Personen, die am Tische gesessen waren, als die Bluttat geschah und andere, die Wissenswertes über den Verkehr des Mörders und seines Opfers auszusagen wussten.

Transkript Ende

Sorgfältige Ermittlungsarbeit der Polizei

Die Polizei widmete sich mit beachtlichem Eifer der Untersuchung dieses Mordes im Unterschichtmilieu – das Opfer war, ebenso wie der Täter, vorbestraft gewesen; seinen Lebensunterhalt hatte Hager als Marktfuhrmann verdient.

Der Dritte im Bunde war der „Viehtreiber“ Kunz, den Beck ebenfalls zu erschießen gedroht hatte, von dem allerdings nicht weiter die Rede ist. Jedenfalls versammelte sich ein zahlreicher Trupp von hochrangigen Beamten (man beachte, dass sogar der Stellvertreter des Polizeipräsidenten anwesend war!).

Ferdinand Gorup von Besánez hatte übrigens schon mit weitaus prominenteren Tätern und Opfern zu tun gehabt: Als einfacher Polizeibeamter war er 1889 nach den Vorfällen in Schloss Mayerling daran beteiligt gewesen, die Leiche von Mary Vetsera auf Wunsch des Hofes im Geheimen von Mayerling ins Stift Heiligenkreuz zu bringen. Nachdem Mary Vetsera dort beerdigt war, telegrafierten die Beamten vom Postamt des Dorfes an das Wiener Polizeipräsidium: „Alles abgethan.“

Im Fall des „Schwarzen Adlers“ galt die große Sorge der Beamten wohl weniger dem bereits verübten Verbrechen als dem, was Beck auf der Flucht noch anrichten mochte, und sie war berechtigt: Später stellte sich heraus, dass dieser unmittelbar nach dem Mord an dem Kutscher eine weitere „Todfeindin“ aufsuchte, eine Marktfrau, mit der er häufig gestritten hatte – glücklicherweise war sie nicht daheim, als er mit dem Revolver in der Manteltasche an ihre Türe klopfte.

Steckbrief des Mörders

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Der Mörder Johann Beck

Der geflüchtete Mörder, der 30jährige Obsthändler Johann Beck, wegen seiner Gewalttätigkeit bekannt, ist bereits vorbestraft. Er ist gebürtiger Wiener und verheiratet.

Der Gesuchte ist mittelgroß, untersetzt und hat volles blasses Gesicht. Besonders auffallend an ihm ist sein starker, nach aufwärts gebogener schwarzer Schnurrbart. An der Stirne hat Beck eine frische Narbe, die von der Verletzung herrührt, die ihm Hager mit dem Zündstein beigebracht hat.

Bei seiner Flucht trug Beck dunkles Wintersakko mit dunklem Pelzkragen und grünem Plüschhut mit vorne herabgebogener Krempe.

Transkript Fortsetzung 

Selbstmord des Mörders? 

Während die polizeiliche Kommission noch an dem Tatort amtierte, verbreitete sich das Gerücht, im Vorpark von Schönbrunn, der „schwarzen Weste“, habe ein Mann einen Selbstmord begangen.

Wieso das Gerücht entstanden ist, konnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls aber wurde die Durchstreifung der ausgedehnten Parkanlagen sofort angeordnet, die aber zu keinem Resultate führte.

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Transkript Ende

Der Bereich der "Schwarzen Weste" (heutiger Auer Welsbach-Park) wird durchsucht
Der Bereich der „Schwarzen Weste“ (heutiger Auer Welsbach-Park) wird durchsucht
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Auf der Suche nach dem Mörder

Ein Großaufgebot der Polizei machte sich sofort in ganz Wien auf die Suche nach dem Täter. Eine wichtige Rolle dabei spielte die „Berittene Abteilung“, die Reiter der Sicherheitswache, die seit 1869 im Einsatz waren und eigentlich die Aufgabe hatten, auf die Einhaltung der Fahrordnung zu achten.

1872 gab es bereits 66 berittene Polizisten, während der Weltausstellung 1873 verdoppelte sich die Zahl der Reiter. 1913 gab es 318 Pferde; zu der Zeit, als die Fahndung nach Beck lief, werden es also etwa ebenso viele gewesen sein.

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Bei den WienerInnen war die berittene Polizei (hier eine Szene aus dem Jahr 1910) sehr populär. Bild: Timeline Pictures, Privatbesitz Barbara Büchner.

Selbstmörderplätze

Die berittenen Streifen eigneten sich besonders gut zur Fahndung in bewaldeten Gebieten ohne Fahrstraßen. In solchen Gegenden lagen auch die beliebten „Selbstmörderplatzln“.

Da Beck ja angedroht hatte, sich letzten Endes selbst das Leben zu nehmen, konzentrierten sich die Streifungen auf diese „Platzln“, an denen Selbstmorde verübt zu werden pflegten. Das waren bestimmte, der Polizei bereits bekannte Waldstücke bei Hütteldorf, bei Dornbach, im Michaelerwald usw.

Stallposten auf der Schmelz

Die ersten Stützpunkte der Reiterabteilung hatten sich am Salzgries und in der Schiffamtsstraße befunden, zur Zeit des Kriminalfalles Hager – Beck war auch auf der Schmelz ein „Stallposten“ stationiert.

Diesem gehörte der berittene Wachmann Josef Bruckmüller an, der den Auftrag erhalten hatte, sein besonderes Augenmerk auf den damals noch dicht bewaldeten und kaum bewohnten Satzberg bei Hütteldorf (er wurde erst während der Ersten Weltkrieges abgeholzt) zu richten.

Der Satzberg (435 m) ist ein Ausflugsberg im Norden des Stadtteils Hütteldorf im 14. Wiener Gemeindebezirk Penzing. Er wird heutzutage vor allem zum Wandern genutzt, der Stadtwanderweg 4 verläuft durch das Gebiet. Gemeinsam mit dem Dehnepark, dem Gemeindewald und den Steinhofgründen ist der Satzberg ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Bezirke 14. und 16.

Ein gefährlicher Auftrag

Die Suche nach Johann Beck war ein gefährlicher Auftrag, denn der hatte jetzt nichts mehr zu verlieren, war immer noch bewaffnet und konnte sich beim Herannahen des Polizisten leicht im Gebüsch verstecken, um ihn von dort heraus zu erschießen.

Doch Johann Beck hatte nach einer zweifellos durchwachten Nacht wohl eingesehen, wie sinnlos es war, noch weiter zu fliehen oder sich gar zu wehren. Seine Verhaftung durch den Wachmann Bruckmüller verlief unspektakulär.

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Illustrierte Kronen-Zeitung, Mittwoch, 20. Dezember 1911, Titelblatt

Transkript Illustrierte Kronen-Zeitung (Barbara Büchner), Mittwoch, 20. Dezember 1911, Titelblatt und Seite 6

Die Gestalt im Nebel.

(…)

Der berittene Wachmann Josef Bruckmüller des Stallpostens Schmelz hatte den Auftrag erhalten, seine Streifung besonders auf den Satzberg bei Hütteldorf auszudehnen. Als Wachmann Bruckmüller gegen 8 Uhr vormittags über eine Wiese des Satzberges gegen Hütteldorf ritt, bemerkte er im dichten Nebel eine Gestalt.

Als er näherkam, erkannte Bruckmüller einen Mann, und zwar einen Mann, auf den die Personsbeschreibung des flüchtigen Beck genau passte. Der Mann trug das beschriebene dunkle Wintersakko mit dunklem Pelzkragen und grünen Plüschhut. Besonders fiel dem Wachmann aber der charakteristische schwarze Schnurrbart des Mannes auf.

„Hände hoch!“

Als Wachmann Bruckmüller sich dem unbekannten Manne, in dem er Beck zu erkennen glaubte, bemerkte er, wie der Mann mit der Hand in die Tasche fuhr. Sofort rief ihm Bruckmüller zu: „Hände hoch!“ und der Fremde folgte auch dieser Aufforderung und gab dann zu, der gesuchte Johann Beck zu sein. Ohne an Widerstand zu denken, ließ sich Beck visitieren und folgte auch seine Browning-Pistole aus, eine ganz neue, sehr schöne Waffe von größerem Kaliber.

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Bild: Wikipedia, Browning 1910, 28 Jänner 2012, Autor: Askild Antonsen Die FN Browning Modell 1910 war eine früher sehr verbreitete belgische Selbstladepistole. Sie wurde von John Moses Browning entworfen und über mehrere Jahrzehnte hinweg gebaut, vor allem zum Gebrauch von Polizei und Militär.

Die Tatwaffe

Mit dem Gebrauch einer Browning für den Mord an Hager hatte Johann Beck sich übrigens die eventuelle Ausrede, die Schüsse hätten sich zufällig gelöst, vermauert: Die Pistole war mehrfach gesichert, ein Schuss konnte sich nur dann lösen, wenn  der Sicherungshebel, der auch den Schlitten blockierte, auf „Entsichert“ stand, der Schütze beim Umfassen der Waffe die Griffsicherung betätigte und sich ein Magazin in der Pistole befand. So wurde verhindert, dass sich Schüsse aus herabfallenden Waffen lösen konnten. Die Magazinsicherung verhinderte Unfälle beim Reinigen, falls sich noch eine Patrone im Lager befinden sollte. Die Produktion wurde im Jahr 1976 eingestellt.

Mit dem „Grünen Heinrich“ ins Sicherheitsbüro

Nachdem Beck sich ergeben hatte, eskortierte der Wachmann seinen Arrestanten zum nächsten Wachzimmer, von wo Beck in einem Einspänner unter sicherer Bewachung in das Sicherheitsbüro gebracht wurde. Damals gab es bereits motorisierte Häftlingstransporter – im Jahre 1910 hatte die Wiener Polizei zu diesem Zweck drei Autos erworben. Daneben war jedoch weiterhin der „Grüne Heinrich“ im Einsatz, ein zweiachsiger, fensterloser Holzwagen, der von zwei Pferden gezogen wurden. Der letzte seiner Art fuhr im September 1925 durch die Stadt.

Selbstmord in der Untersuchungshaft

Zu einem Prozess gegen Johann Beck kam es nicht mehr. Dem zu erwartenden Todesurteil kam er durch Selbstmord in der Untersuchungshaft zuvor.

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Karl-Holoubek-Hof, Bild: Wikimedia, Autor Herzi Pinki, 2013

An der Stelle des „Schwarzen Adlers“ steht heute der Karl-Holoubek-Hof, ein Gemeindebau zwischen der Hollergasse und der Dreihausgasse. Angeschlossen ist die VHS Rudolfsheim-Fünfhaus, die Musikschule des Bezirks und die städtische Bücherei am Schwendermarkt.

meine meinung

Heute würde sich wohl ein/e GerichtspsychiaterIn dafür interessieren, was den raubeinigen und selbst gewalttätigen Mann an der unbedeutenden Verletzung so aufgebracht haben mag, dass er nicht etwa im ersten Zorn zurückschlug, sondern tagelang über seiner blutigen Rache brütete, ja das „Hinrichtungsdatum“ – „noch 48 Stunden!“ – exakt festsetzte. Aber damals kümmerte man sich wenig um das Seelenleben eines Marktstandlers …

Verfügen Sie über weitere Informationen zu Johann Beck, Karl Hager oder Josef Bruckmüller? Dann freuen wir uns, wenn Sie uns diese zukommen lassen!

Kontakt: office@bm15.at

Video zum Beitrag

Quellen:

  • ANNO
  • Polizeigeschichte Wiens – Die Geschichte der Sicherheitswache bis 1938
  • Wikipedia
  • Timeline Pictures
  • „Tatort Wien – der neue Wiener Pitaval“, 1. Band, (Die Zeit von 1900 – 1924), Seite 230, 15, Schwendergasse 41, Die „Versöhnung“ der Freunde. Edelbacher/Seyrl, Edition Seyrl, Wien – Scharnstein 2004, ISBN 3-911697-09-8

Hier finden Sie alle Artikel unserer Serie „History & Crime in Rudolfsheim“

Teil 1: Die Verhaftung des Einbrecherkönigs Johann Breitwieser (1918)
Teil 2: Die Hyäne der Armen – Der Kinder-Betrüger Georg Prödinger (1905)
Teil 3: Von einer Greisin erstochen – Das Ende des „Revolvergustl“ (1928)
Teil 4: Der Gattinnenmörder Anton Karner – Eifersucht in der Enge der Proletarierwohnung (1913)
Teil 5: Motorführer Johann Prügl als Dienstmädchenmörder (1905)
Teil 6: Der Raubmörder und der tapfere Wirt (1920)
Teil 7: „Noch 48 Stunden, dann hol ich ihn mir, den Hager“ (1911)
Teil 8: Eine Greisin im Schlaf abgeschlachtet: Der Raubmörder Anton Senekl (1902)
Teil 9: Raubmord an einem Kind – Der Fall Rudolf Kremser (1914)

Sie haben noch nicht genug von „History & Crime in Rudolfsheim“?
In unserer Broschüre „Blut im Beisl. Historische Kriminalfälle in Gasthäusern des 15. Bezirks um 1900“ können Sie weiterschmökern.


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Jede Belehrung und Berichtigung, welche in Beziehung auf größere Vervollkommnung und Gemeinnutzmachung dieser Herausgabe beabsichtigt ist, wird mit dem ausgezeichnetsten Danke empfangen.

(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828

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2 Kommentare zu „„Noch 48 Stunden, dann hol ich ihn mir, den Hager“ (1911)

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