🔪Raubmord an einem Kind – Der Fall Rudolf Kremser (1914)

Lesen Sie heute den 9. und letzten Teil unserer neunteiligen Serie „History & Crime in Rudolfsheim (FĂĽnfhaus) Anno dazumal“ von Barbara BĂĽchner.

Barbara Büchner hat in Archiven recherchiert, dutzende Zeitungsartikel durchforstet und spektakuläre Fälle zusammengetragen, die sich auf dem Gebiet des heutigen 15. Bezirks zugetragen haben oder von Personen handeln, die im heutigen Rudolfsheim-Fünfhaus wohnhaft oder beruflich (oder sonst wie) tätig waren.

Verfolgen Sie mit uns die „Bluttat in FĂĽnfhaus“ des Rudolf Kremser an seiner Nichte Friederike Kalupka. Als Quelle dient u.a. die „Illustrierte Kronenzeitung“ vom 16. Dezember 1914.

History & Crime

Die Bluttat in FĂĽnfhaus

Dramatische kriegerische Erfolge in West-Galizien und SĂĽd-Russland („31.000 Russen gefangen!“) mussten im Kriegswinter 1914 auf der Titelseite der „Illustrierten Kronen-Zeitung“ einer lokalen Tragödie Platz machen. Am 16. Dezember trägt das Blatt den Titel: Die Bluttat in FĂĽnfhaus.

Titelseite der Illustrierten Kronenzeitung vom 16.12.1914

Die gesamte Wiener Presse berichtete von der ersten Entdeckung bis zum Todesurteil in groĂźem Umfang und Detail ĂĽber die Tat, die, als Kriminalfall gesehen, keinerlei Bedeutung hatte, aber in ihrer Unmenschlichkeit erschĂĽtterte: Um ihr zwei Kronen (umgerechnet vier Euro!) zu rauben, hatte der 43jährige arbeits- und obdachlose Drechslergehilfe Rudolf Kremser seiner Nichte, der 13-jährigen Friederike Kalupka,  Tochter seiner Schwester Maria, die Kehle durchgeschnitten. Die Verblutende hatte er auf dem Sofa liegen lassen, wo ihre aus der Schule heimkehrenden Geschwister sie fanden. 

Der Täter war rasch gefasst, er war geständig, er wurde verurteilt – und doch ist es ein Fall, der rätselhafte Untiefen zu bergen scheint. War es ein simpler Raubmord? Oder ein Lustmord? Oder blutige Rache für abwertende Bemerkungen der jungen Friederike, die ihren Onkel verachtete: „Warum arbeitet der Onkel nicht?“ Oder der Versuch, eine – vielleicht misslungene – Vergewaltigung zu vertuschen?

Rudolf Kremser bei seiner Gerichtsverhandlung, Illustration der Kronenzeitung

Was für ein Mensch ist Rudolf Kremser? Von seinem Leben vor der Tat ist nur wenig bekannt: Er war verheiratet und Vater von vier Kindern. Als seine Frau starb, überließ er die Kinder ihrem Schicksal und ging ins Ausland. Später kehrte er nach Wien zurück, wo er eine Vorstrafe an die andere reihte. Zuweilen wohnte er im Männerheim in der Wurlitzergasse in Hernals, zuweilen trieb er sich obdachlos herum. Gelegentlich arbeitete er ein paar Tage lang, zuletzt als Badediener, doch im Allgemeinen hielt er sich an den von ihm selbst ausgesprochenen Grundsatz: „Arbeiten ist nur was für die Dummen.“ Er war ein Herumtreiber, ein Schnorrer, ein Bettler, ein Strotter.

Der Begriff Strotter (vom Altwiener Ausdruck „strotten“ = aussortieren) ist eine veraltete, aus dem Raum Wien stammende, Bezeichnung fĂĽr Personen, die in Abfällen herumstöbern, um Verwertbares zu finden. Vorwiegend werden damit jene bis Mitte des 20. Jahrhunderts im Wiener Untergrund lebenden Personen assoziiert, fĂĽr die das Strotten Lebensgrundlage war. Strotter wird zuweilen auch als Synonym fĂĽr einen Vagabunden verstanden. Weil die Strotter dazumals ein lokales Wiener Phänomen waren, wurde der Begriff dort am stärksten geprägt und konnte sich groĂźräumig nicht etablieren. Eine Internetumfrage legt nahe, dass die Bezeichnung heute nur noch einem kleinen Teil der österreichischen Gesamtbevölkerung geläufig ist – einzig in Wien wird sie noch von der Mehrheit verstanden. (Quelle Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Strotter)

Aber war dieser arbeitsscheue und haltlose Mann deswegen auch ein Sexualverbrecher, ja ein Lustmörder? Dass der Verdacht relativ rasch aufkam, ist nicht zuletzt seinen eigenen, mysteriösen und doppeldeutigen Bemerkungen zu verdanken.

Die Neue Freie Presse vom 10. April 1915 jedenfalls schreibt in ihrem Bericht ĂĽber die Verhandlung:

Transkript BB

Der rätselhafte Mörder. – Eine sadistische Tat mit nachfolgendem Diebstahl?

Der Fall, der nach dem Justizakt der Wissenschaft gehört, die an den Rätseln, die er bringt, ihre feineren psychoanalytischen Lösungen versuchen wird, liegt heute einem Ausnahmssenat im Schwurgerichtssaal zur Judikatur vor. Auf den ersten Blick handelt es sich allerdings um eine Gewalttat, die nur durch ihre Bestialität Aufmerksamkeit fordert. Der 44jährige Vagant (Anm.d.Red: Obdachloser, Stadtstreicher)Rudolf Kremser hat seine 14jährige leibliche Nichte in ihrer elterlichen Wohnung ĂĽberfallen, als niemand von ihren Angehörigen daheim war, und sie mit einem KĂĽchenmesser abgeschlachtet. Kremser war damals in Not, und aus dem Umstande, dass er eine Zweikronennote am Tatort an sich genommen hat, konnte geschlossen werden, dass der furchtbare Mord zu Raubzwecken begangen wurde, eine Annahme, die auch noch durch das spezielle kriminelle Vorleben des Angeklagten gestĂĽtzt wird. In der heutigen Verhandlung aber, die sich unter dem Vorsitz des Oberlandesgerichtsrates Dr. Weinlich abspielt, trat das Gewinnsuchtsmotiv immer mehr in den Hintergrund. Andere Ursachen wurden, wenn auch nur verschleiert, sichtbar und der Verdacht wurde im Laufe des Vormittags immer stärker, dass man es hier mit einem Täter zu tun habe, der keinen Mord begangen hat, um ein Hindernis zu beseitigen.

Transkript Ende

Ursachenforschung

Was war geschehen, dass die Zeitungen sich bewogen fühlten, von einem „rätselhaften Mord“ mit „verschleierten Ursachen“ zu sprechen?

Das Szenario ist das einer typischen kleinbürgerlichen Wiener Familie im ersten Jahr des Weltkrieges. Der „Ziseleur“ (Silberschmied) Friedrich Kalupka bewohnte in der Löschenkohlgasse 89 (damals 14. Bezirk) eine bescheidene Wohnung zusammen mit seiner Frau Maria, der 14jährigen Friederike und ihren drei kleinen Geschwistern sowie immer wieder einem unerwünschten Gast: dem arbeitslosen Rudolf Kremser, über den Friederike einmal sagte: „Der Onkel isst uns das Brot weg und wir haben selber nur wenig.“ Kremser machte kein Hehl daraus, dass er von Arbeit nichts hielt, sondern lieber schnorrte, vorzugsweise bei seiner Schwester, die verzweifelt hoffte, er würde sich doch eines Tages noch bessern. Vergebliche Hoffnung!

Da Frau Kalupka zu Schanzarbeiten kriegsdienstverpflichtet war, ĂĽbernahm Friederike – ĂĽber die alle ZeugInnen nur das Beste zu sagen wissen – die Rolle des HausmĂĽtterchens, betreute nach der Schule die kleinen Geschwister und kaufte ein, wofĂĽr ihr die Eltern täglich zwei Kronen gaben. 

Die Beute eines meuchlerischen Raubmordes: Ă–sterreichisch-Ungarische Zwei-Kronen-Note, Bild: Wikipedia

Am 16. Dezember war das Mädchen am Vormittag allein zu Hause, als Kremser gegen elf Uhr gesehen wurde, wie er die Wohnung betrat, aber kaum eine Viertelstunde später wieder verließ. Als die jüngeren Geschwister dann nach Hause kamen, fanden sie die Türe versperrt, und niemand öffnete auf ihr Klopfen. Eine Nachbarin, Frau Ludmilla Roth, „knackte“ die Türe schließlich mit Hilfe eines Schürhakens – und wurde zur ersten Zeugin eines entsetzlichen Anblicks. Die tote Friederike kniete auf dem Boden, den Oberkörper auf dem Sofa, aus einer klaffenden Wunde an ihrem Hals war Blut über die Polsterung bis auf den Boden geströmt.

Es gab vom ersten Augenblick an keinen Zweifel, wer der Täter sein musste, denn die intelligente und vorsichtige Friederike hätte niemals einen Fremden in die Wohnung gelassen. Rudolf Kremser wurde wenige Stunden später verhaftet und legte auch bald ein Geständnis ab, wobei er sinngemäß sagte: „Wo so viele tapfere Männer im Krieg fallen, zählt das Blut eines Mädels nicht.“

Seine Verantwortung wechselte ständig, wie sich im Prozess erweisen sollte, immerhin gab er zu, „dass er nach dem Morde vom Schubladenkastel eine Zweikronennote genommen, die die Mutter für das Mittagessen der Kleinen zurückgelassen hatte.“

Kurz nach diesem Geständnis jedoch verlegte er sich wieder auf einen Trick, der ihm schon oft aus der Patsche geholfen hatte: Er „spielte den Narrn“, wie er selber zugab, simulierte ein Kriegstrauma, Wahnvorstellungen und blutige erotische Begierden, die ihn „plötzlich überkommen“ hätten, „als er mit dem Mädel allein war.“ Die Zeitungen machten viel aus diesen verworrenen Äußerungen.

Hören wir die Neue Freie Presse vom 10. April 1915:

Transkript BB

„Immer mehr drängt sich beim Anhören der Verantwortung die Anschauung auf, dass die Quellen seiner Mordgier in den grauenvollen Abgründen eines abnormen Trieblebens zu suchen sind, und dass er den Mord aus Lust am Töten, an den Qualen, am Verbluten des Opfers begangen hat. An diesem sadistischen Motiv braucht die Tatsache nichts zu ändern. Man braucht sich nur vorzustellen, dass der Mörder, der auch in finanzieller Bedrängnis war, die sich leicht bietende Gelegenheit nützte, um auch Geld vom Tatort fortzutragen.“

Transkript Ende

Die Eltern wissen von nichts, Zeugen gibt es keine, und der Täter wechselt beim Verhör von einem Tatmotiv zum anderen. Einmal bekennt er: â€žIch habe öfter solche Ideen, ich glaube aber, erst seit Kriegsausbruch. Der Gedanke, Menschen mit dem Messer den Hals durchzuschneiden, bereitet mir ein gewisses VergnĂĽgen.“  Dann wieder sagt er, er habe sich an Friederike rächen wollen, weil diese der Mutter von seinen sexuellen Ăśbergriffen erzählt habe – die Mutter erinnert sich jedoch nicht an solche Erzählungen. Schon im nächsten Augenblick aber erklärt er ungeduldig, er habe „halt aan Raub machen wollen“ und das Mädchen ermordet, weil sie ihm das Geld nicht freiwillig geben wollte.

Die Behörden halten sich bedeckt. Eine Obduktion wurde vorgenommen, in den Zeitungen wurde auch der Befund veröffentlicht, dass das Mädchen infolge Verblutung durch Messerstiche in den Hals gestorben sei. Aber da schon der Vorwurf des Lustmordes im Raum hing, warum wurden keine entsprechenden gynäkologischen Untersuchungen vorgenommen? Die Zeitungen und mit ihnen die Ă–ffentlichkeit erfuhren nichts darĂĽber, ob Friederike noch Jungfrau war oder ob sich an ihrem Körper Spuren einer versuchten oder vollzogenen Vergewaltigung, vielleicht auch frĂĽherer sexueller Misshandlungen zeigten. 

Die Kosten des Begräbnisses wurden von der Gemeinde Wien getragen, da sich die Eltern diese vermutlich nicht leisten konnten, und es war ein feierliches, ein schönes Begräbnis: Die Leiche des Mädchens wurde in der mit blauem Tuch ausgeschlagenen Leichenkapelle im Allgemeinen Krankenhaus aufgebahrt. Sie trug ein weißes Seidenkleid, einen Myrtenkranz und einen Kopfschleier und lag in einem reich verzierten Sarg. Wo Friederike Kalupka ihre letzte Ruhestätte fand, ließ sich leider auch mithilfe der elektronischen Gräbersuche der Stadt Wien nicht mehr feststellen.

Aufbahrung eines Mädchens im 19. Jahrhundert, hier im viktorianischen England (Bild aus dem Internet, unbekannter Herkunft) WeiĂźes Totenkleid und Myrtenkranz mit Schleier lassen darauf schlieĂźen, dass sie noch Jungfrau war. 
Wiener Ansicht des Wiener Landesgerichts zwischen 1901 und 1906, Bild: Wikipedia, http://www.alservorstadt.at/ansichten/landesgerichtsstrasse_7.jpg

Am deutlichsten wird der Charakter des Täters bei der Befragung während der Verhandlung, wie sie die „Kronen-Zeitung“ vom 11. April 1915 im Detail wiedergibt:

Transkript BB

„Das Verhör. – Nur die Dummen arbeiten. Nach Verlesung der Anklageschrift ruft der Präsident den Angeklagten zum Verhör vor.

Präs.: Sie haben die Anklage verstanden, bekennen Sie sich schuldig?

Angekl.: Ja.

Präs.: Ist es möglich, dass Sie sich weigerten, während des Krieges arbeiten zu übernehmen?

Angekl.: Ja, es ist möglich.

Präs.: Von der Arbeit haben Sie, scheint es, überhaupt keine besondere Meinung gehabt. Sie haben gegenüber Ihrem Schwager eine Äußerung gemacht, die ungefähr lautete: Nur die Dummen arbeiten.

Angekl.: (macht eine ungeduldige Bewegung): Naja, es ist möglich, dass ich das gesagt habe.

Präs.: Was waren Sie zuletzt?

Angekl.: Badediener, und zwar bis acht Tage vor der Tat.

Präs.: Dann hatten Sie keinen Verdienst mehr, wohnten im Männerheim. Waren Sie in Not?

Angekl.: Ja.

Präs.: Jetzt möchte ich Sie bitten, mir den Hergang der „Sache“ zu erzählen.

Gespielt und gemordet.

Angekl.: (laut und lebhaft) Ich bin in der FrĂĽh von zu Haus weggegangen und hab mir gedacht, ich gehe zu meiner Schwester.

Präs.: Haben sie gewusst, dass sie Schichtarbeiten macht?

Angekl. – Ja, ich habe mir aber gedacht, ich triff sie vielleicht zu Hause.

Präs.: Sie haben an der Tür angeläutet, es ist Ihnen geöffnet worden.

Angekl.: Ja, die Kleine hat mir aufgemacht. (Ganz unbefangen) Ich habe sie gerufen, habe mit ihr gespielt und dann das Messer hineingestoĂźen.

Präs.: Was haben Sie dann getan?

Angekl.: (ebenso gleichmütig): Zug´sperrt hab ich die Tür und fortgangen bin ich!

Präs.: Aber die Leiche war ja den Diwan heruntergerutscht! Haben Sie sie so liegen lassen?

Der Angeklagte zuckt mit den Achseln.

(…)

Präs.: Nun sagen Sie uns: Warum haben Sie das getan?

Angekl.: (sieht an den Saalwänden hinauf, schlenkert mit den Armen und sagt bös): Um einen Raub zu machen und ein Geld zu kriegen!

Präs.: Da hätten Sie das Mädchen aber nicht umbringen müssen.

Angekl. (nach einer Pause): Damit sie nicht sagen kann, dass ich es gewesen bin.

Transkript Ende

Der Staatsanwalt ermuntert den Angeklagten geradezu aufdringlich zu einem Bekenntnis, er habe aus sexueller Lust oder aus einem „kriegsbedingten“ Blutrausch heraus gehandelt. Kremser stimmt dem einmal zu, wehrt sich dann wieder heftig dagegen. Einmal deutet er an, er habe das Mädchen auf dem Diwan „an sich gedrückt“ „mit ihr gespielt“ und „ihr liebe Worte gesagt“, danach „habe es ihn überkommen, sie zu töten“; dann wieder, er habe immer schon jemand töten wollten, als er dann mit Friederike allein war, habe ihn der unwiderstehliche Drang überkommen. Er lässt seltsame Sätze hören wie (Originalton): „Wie viele Krieger müssen jetzt im Felde aIs Helden, für das Vaterland sterben, nun soll auch dieses edle Blut fließen!“ Ist das die Sprache eines „Sandlers“? Oder einer der vielen Tricks, mit denen Kremser „den Narrn macht“?

Die beiden Wohnungsnachbarinnen, Frau Marie Bank und Frau Franziska Fischer, bestätigen übereinstimmend, Friederike sei ein sehr liebes, braves und sittsames Mädchen gewesen. Über Rudolf Kremser haben sie nichts Gutes gehört. Gegenüber Frau Fischer habe sich Friederikes Mutter wiederholt über die Arbeitsscheu ihres Bruders beschwert und der Zeugin auch erzählt, dass Friederike einmal zu Kremser gesagt habe: „Onkel, warum arbeitest du denn nicht auch? Mein Vater muss doch auch jeden Tag arbeiten.“

(Anm.d.Red: Der Vater tritt beim Prozess überhaupt nicht in Erscheinung, möglicherweise war er zwischenzeitlich verstorben.)

Maria Kalupka als Zeugin bietet ein tragisches Bild, wie die Kronen-Zeitung berichtet: 

Transkript BB

„Sie ist eine schwächliche Frau mit abgehärmtem Gesicht. Die Zeugin trägt Trauerkleidung und betritt laut aufweinend den Gerichtssaal. Da die Frau leidend ist, gestattet der Präsident, dass sie ihre Aussagen sitzend abgeben darf. Präsident zur Zeugin: Sie können sich der Aussage entschlagen. Was wollen Sie tun?

Zeugin (weinend): Ich will aussagen.

Präs.: Was war die Friederike für ein Kind?

Zeugin (mit erstickter Stimme): Sie war ein braves, gutes Kind.

Präs.: Hatte die Friederike den Onkel gern? 

Zeugin: Nicht gar gern. Sie sagte einige Male: „Der Onkel iss uns das Brot weg und wir haben selbst nicht zu viel.“

Präs.: Was ist Ihr Bruder für ein Mensch?

Zeugin: Er hat nicht gern gearbeitet.

Präs.: Hat er auf Sie den Eindruck gemacht, dass er ein Narr ist?

Zeugin: Nein, ich glaube immer, er machte solche Sachen nur vor.

Transkript Ende

Die Gerichtspsychiater blufft er damit nicht: Das Gutachten der Fachleute bezeichnet Rudolf Kremser als moralisch schwer defekt, als eine gefährliche Verbrechernatur, er leide aber weder an einer Geistesstörung, noch habe er die Tat in vorübergehender Bewusstseinsstörung begangen.

Das Urteil

Nach der Schlussrede des Staatsanwaltes und des Verteidigers zog sich der Gerichtshof zurück. Nach kurzer Beratung wurde Rudolf Kremser des Verbrechens des Raubmordes schuldig erkannt und zum Tode durch den Strang verurteilt. Der Angeklagte hörte das Urteil vollkommen teilnahmslos an.

Nach kurzer Beratung wurde Rudolf Kremser des Verbrechens des Raubmordes schuldig erkannt und zum Tode durch den Strang verurteilt.



Bei einem solch brutalen Verbrechen, einem so reuelosen Angeklagten, einem so einmütigen Urteil möchte man meinen, es wäre im Galgenhof des Wiener Landesgerichts schon sehr bald wieder die düstere Aufforderung an den Scharfrichter Lang ergangen: „Walten Sie Ihres Amtes!“

Aber seltsam: Von Rudolf Kremser hört man nur noch ein einziges Mal, in einer winzigen Todesanzeige in „Die Neue Zeitung“, die aber nicht ihn selber betrifft:

Die Meldung erscheint am 4. Februar 1916, nicht einmal ein Jahr nach dem Urteil, zu einer Zeit also, als die Todesstrafe noch drei Jahre lang in Gebrauch sein sollte – Scharfrichter Josef Lang amtierte bis 1919. Nähere Erklärungen dazu gibt es keine, auch nicht über die Strafe, die statt des Todesurteils verhängt wurde.

Der milde Kaiser

Möglich ist eine Begnadigung durch den Kaiser, der in seinem letzten Lebensjahr stand (er starb am 21. November 1916). Franz Joseph war in jungen Jahren der „Blutjustiz“ beschuldigt worden, doch je älter der Kaiser wurde, desto öfter verweigerte er die Zustimmung zur Vollstreckung; und grundsätzlich wurde kein Todesurteil an einer Frau vollstreckt, – nach der so grausig missglückten Hinrichtung der „Rabenmutter“ Juliane Hummel im Jahre 1900 durch den Scharfrichter Wohlschläger wurden sämtliche Todesurteile gegen Frauen in Kerkerstrafen umgewandelt. Die letzte Amtshandlung im Leben des greisen Monarchen, die Franz Joseph Stunden vor seinem Tod mit zittriger Hand unterzeichnete, war die Begnadigung einer zum Tod verurteilten Kindesmörderin.

Schleier des Rätselhaften

Noch mysteriöser wird die Sache, wenn man die „Wiener Kriminalchronik“ zur Erklärung heranzieht. Dort endet der Bericht „Der Mädchenmord in FĂĽnfhaus – Der Fall Rudolf Kremser“ mit den Worten: â€žBeim Prozess am 10.4. 1915 war Kremser geständig, sodass wegen Raubmordes das Todesurteil verhängt wurde. Durch Eingabe der Verteidigung wurde das Verfahren derart verschleppt, dass das Todesurteil nicht mehr vollstreckt wurde.“

Stimmt diese Version, und Kremsers geschickte Anwälte konnten ihren Klienten durch ein ständiges Hinauszögern  vor dem Galgen bewahren: Wieso fand dieser Angeklagte, der kein Geld hatte, keine „hohe Protektion“, der kein „Politischer“ war – wieso fand er eifrige Verteidiger, die ĂĽber drei Jahre hinweg mit immer neuen Eingaben den Vollzug des Todesurteils verschleppten, bis 1919, mit der Ersten Republik, die Todesstrafe vorĂĽbergehend abgeschafft wurde? Wer bezahlte diese Verteidiger? Oder was motivierte sie, sich unbezahlt so energisch fĂĽr einen Menschen einzusetzen, fĂĽr den sich auch nicht die geringsten MilderungsgrĂĽnde finden lieĂźen?

So breitet sich über den „rätselhaften Mord von Fünfhaus“ trotz völliger kriminalistischer Aufklärung doch noch der Schleier des Rätselhaften.


meine meinung

So wie Friederike Kalupka mussten damals viele junge Mädchen, halbe Kinder noch, schon die Mutter ersetzen, neben der Schule einkaufen, den Haushalt führen, die kleinen Geschwister betreuen, weil Vater und Mutter berufstätig waren. Oft reichte ein Einkommen einfach nicht aus, um die Familie zu ernähren; andere Frauen waren, wie Maria Kalupka, zu Schanzarbeiten kriegsdienstverpflichtet. Die junge Friederike erfüllte ihre Aufgabe vorbildlich – und wurde für vier Euro Haushaltsgeld zum Mordopfer. Ich kann mitfühlen, dass der Mord so viel Empörung und Entsetzen bei der Wiener Bevölkerung hervorrief, selbst inmitten des Blutbades an allen Grenzen.


VerfĂĽgen Sie ĂĽber weitere Informationen zu Friederike Kalupka oder Rudolf Kremser? Dann freuen wir uns, wenn Sie uns diese zukommen lassen! Kontakt: office@bm15.at

Ergänzung von Martin B., einem Leser unseres Blogs

Friederike Kalupka wurde am 19. Dezember 1914 am Wiener Zentralfriedhof beerdigt.

Todesart: Messerstich in den Hals
Quelle: Matrikula online

Vielen Dank an unseren aufmerksamen Leser!

Video zum Beitrag

Quellen:

  • ANNO
  • Wikipedia
  • Wiener Kriminalchronik, Max Edelbacher und Harald Seyrl, Edition S, Verlag Ă–sterreich, 1993, ISBN 3-7046-0421-6
  • Harald Seyrl (Hrsg.): Die Erinnerungen des österreichischen Scharfrichters. Erweiterte, kommentierte und illustrierte Neuauflage der im Jahre 1920 erschienenen Lebenserinnerungen des k.k. Scharfrichters Josef Lang. Edition Seyrl, Wien 1996, ISBN 3-901697-02-0.

Hier finden Sie alle Artikel unserer Serie „History & Crime in Rudolfsheim“

Teil 1: Die Verhaftung des Einbrecherkönigs Johann Breitwieser (1918)
Teil 2: Die Hyäne der Armen – Der Kinder-Betrüger Georg Prödinger (1905)
Teil 3: Von einer Greisin erstochen – Das Ende des „Revolvergustl“ (1928)
Teil 4: Der Gattinnenmörder Anton Karner – Eifersucht in der Enge der Proletarierwohnung (1913)
Teil 5: Motorführer Johann Prügl als Dienstmädchenmörder (1905)
Teil 6: Der Raubmörder und der tapfere Wirt (1920)
Teil 7: „Noch 48 Stunden, dann hol ich ihn mir, den Hager“ (1911)
Teil 8: Eine Greisin im Schlaf abgeschlachtet: Der Raubmörder Anton Senekl (1902)
Teil 9: Raubmord an einem Kind – Der Fall Rudolf Kremser (1914)

Sie haben noch nicht genug von „History & Crime in Rudolfsheim“?
In unserer BroschĂĽre „Blut im Beisl. Historische Kriminalfälle in Gasthäusern des 15. Bezirks um 1900“ können Sie weiterschmökern.


Liebe Leserin, lieber Leser!

Ihnen fehlt etwas? Sie haben weiterfĂĽhrende Informationen?
Dann schreiben Sie doch einfach einen Kommentar. Nützliche Inhalte mit Quellenangabe bauen wir – mit Verweis auf Ihren Kommentar – gerne noch in den Text ein. Alternativ können Sie uns auch ein Mail an office@bm15.at schicken!

Oder wie es Anton Ziegler 1828 (*) so schön ausgedrückt hat:

Jede Belehrung und Berichtigung, welche in Beziehung auf größere Vervollkommnung und Gemeinnutzmachung dieser Herausgabe beabsichtigt ist, wird mit dem ausgezeichnetsten Danke empfangen.

(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828

Gefällt Ihnen der Artikel? Dann teilen Sie ihn doch mit Ihren FreundInnen!

Schau mal! Ich hab was Interessantes auf WIENfĂĽnfzehn entdeckt!

Ein Kommentar zu „🔪Raubmord an einem Kind – Der Fall Rudolf Kremser (1914)

Hinterlasse einen Kommentar