“Mutter, es wird ein Unglück g’scheh’n …”

Diesmal geht es in „History & Crime“ um die Gewalttat eines Mannes gegen seine frühere Freundin und deren neuen Partner im Juli 1906. Schauplatz der Tat: Goldschlagstraße 122. Glücklicher Weise endete die Attacke nicht tödlich.

Barbara Büchner recherchiert unermüdlich in Archiven, durchforstet dutzende Zeitungsartikel und trägt für Sie die spektakulärsten Fälle zusammen, die sich auf dem Gebiet des heutigen 15. Bezirks zugetragen haben oder von Personen handeln, die im heutigen Rudolfsheim-Fünfhaus wohnhaft oder beruflich (oder sonst wie) tätig waren.

History & Crime
1906-08-01 Illustrirte Kronen-Zeitung, ANNO

Transkript 

Liebesdramen. – Racheakte verschmähter Liebhaber. Im Laufe des gestrigen Tages haben sich in Wien zwei Liebesdramen abgespielt. In beiden Fällen hatte der verschmähte Liebhaber zum Revolver gegriffen, um sich zu rächen. Während das eine, trotzdem der Attentäter Schüsse auf seine frühere Geliebte abgab, glücklicherweise unblutig verlief, zielte der zweite der Attentäter besser und hat nicht nur seine gewesene Geliebte, sondern auch deren jetzigen Liebhaber verletzt. Wir erfahren hierüber folgendes: “Wenn ich dich nicht haben kann, braucht dich auch kein anderer zu besitzen! 

Transkript Ende 

Bildquelle: Alamy Stockphoto, Privatbesitz Barbara Büchner

Für das Mordmotiv “Hass gegen Frauen” – oft als „Beziehungsdrama“ verharmlost – gibt es mittlerweile einen eigenen Ausdruck: “Femizid”. Als Femizid bezeichnet man die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts.  

Verliebt, verlobt, ermordet … Eine Frau will sich von ihrem Freund / ihrem Geliebten/ ihrem Ehemann trennen und wird – oft auf grausamste Weise – ermordet. Heute ist dann meistens der erste Gedanke des Zeitungslesers, der Zeitungsleserin: “Naja, heutzutage, bei den vielen Ausländern, die betrachten ihre Frauen ja als Besitz …”

Ein kurzer Blick ins ANNO-Archiv beweist das Gegenteil. Da finden sich um die Jahrhundertwende jede Menge Eifersuchtsmorde und -mordversuche von gestandenen Wienern. Am 31. Juli 1906 waren es gleich zwei Attentate auf die “treulose Frau”, von denen sich einer in der Goldschlagstraße 122 in unserem Bezirk abspielte. Da kündigte der Zimmermaler Heinrich Dänemark seiner Mutter an: “Wirst sehen, es wird ein Unglück g´schehn!”  

Goldschlagstraße 122, Plan wien.gv.at

Das geschah dann auch, wie die Illustrierte Kronen-Zeitung 31. Juli 1906 berichtet: 

Bildquelle: „Tatort Wien – der neue Wiener Pitaval“, 1. Band, (Die Zeit von 1900 – 1924), Edelbacher/Seyrl, Edition Seyrl, Wien – Scharnstein 2004, ISBN 3-911697-09-8 

Transkript 

Revolverattentat auf die frühere Geliebte und deren Liebhaber. – Verhinderter Selbstmordversuch des Attentäters. Ungleich blutiger verlief das zweite Liebesdrama, das sich in der Mittagsstunde im Hause in der Goldschlagstraße 122 abgespielt hat. Dort führen der 27jährige Eisendreher Adolf Schindler und die 30jährige Köchin Marie Leinfellner gemeinsamen Haushalt. Marie Leinfellner hatte bis vor 14 Tagen ein Liebesverhältnis mit dem 27jährigen Dekorationsmaler Heinrich Dänemark, Hernals, Hormayergasse 3 wohnhaft. Wegen des Benehmens des Malers gegen sie löste sie das Verhältnis und trat kurz darnach zu Schindler in Beziehungen, um alsbald mit ihm eine gemeinsame Wohnung zu beziehen. Dänemark war über diese Treulosigkeit und das rasche Vergessen sehr aufgebracht und beschloss, sich fürchterlich zu rächen. Er schrieb seither an die Geliebte und ihren neuen Verehrer wiederholt Briefe, in denen er seine blutrünstigen Rachepläne kundgab. Es war ihm auch sehr ernst damit, und Dänemark hatte die Absicht, die Leinfellner, seinen Nebenbuhler und sich zu töten. Gestern in der Mittagspause ging er daran, sein blutiges Werk zu vollenden. Nach 12 Uhr mittags kam er in die gemeinsam« Wohnung des Liebespaares, ausgerüstet mit einem in allen Läufen (gemeint ist wohl: Kammern, Anm.d.R.) geladenen Revolver, den er in der Tasche bereit hielt. Als ihm geöffnet wurde und die Leinfellner und Schindler ihm entgegenkamen, zog er den Revolver hervor und gab einen Schuss ab. Die Kugel verfehlte ihr Ziel und durchschlug die Scheibe einer Verbindungstür zwischen Vor- und Wohnzimmer. Entsetzt flüchtete das Liebespaar ins Wohnzimmer. Dänemark folgte den Beiden und feuerte in der Entfernung von nur drei Schritten noch zwei Schüsse ab. Schindler wurde in die rechte Brustseite, die Leinfellner an der linken Brustseite getroffen. Im Hause herrschte die größte Aufregung. Dänemark eilte auf den Gang und wollte sich erschießen, doch als er ansetzte, versagte die Waffe und er warf sie durch ein Gangfenster in den Hof. Ein Sicherheitswachmann nahm seine Arretierung vor: Dänemark und die beiden Verletzten wurden aufs Wachzimmer Wurmsergasse (Nr. 9, Anm.) gebracht, wo Inspektionsarzt Dr. Schwarz der Filiale Mariahilf der Rettungsgesellschaft dem Liebespaar erste Hilfe leistete. Es wurde ins Elisabethspital gebracht. Dänemark wurde aufs Kommissariat eskortiert und wird wegen zweifachen Mordversuches dem Landesgericht eingeliefert.  

Transkript Unterbrechung 

Goldschlagstraße 122 und Wurmsergasse 9, Plan wien.gv.at
Polizei-Wachstube Wurmsergasse 9 um 1960, Foto: Sammlung BM 15
Schusswunde, Ein- und Ausschussöffnung, Bildquelle: Alamy Stockphoto, Privatbesitz Barbara Büchner 

Hier ist eine Anmerkung angebracht.

Es fällt bei allen Verbrechen aus dieser Zeit auf, dass die Verletzten nicht etwa sofort an Ort und Stelle verarztet oder ins Spital gebracht, sondern zuerst einmal ins nächste Wachzimmer geschleppt wurden – das in einigen Fällen danach blutverschmiert gewesen sein muss.

Nun wissen Sanitäter*innen, dass man Verletzte möglichst wenig bewegen soll, ehe Arzt oder Ärztin eine Entscheidung getroffen hat. Die Personalien hätte ja auch ein vor Ort anwesender Beamter aufnehmen können. Außerdem verfügte die am Tag nach dem Ringtheaterbrand 1881 gegründete Wiener Rettungsgesellschaft im Jahre 1906 bereits über ihren ersten richtigen, 1905 in Dienst gestellten Krankenwagen. Wir werden dieser merkwürdigen Sitte demnächst anhand von Recherchen im Museum der Wiener Rettung nachgehen. 

Setzen wir inzwischen den ausführlichen Bericht der Kronen-Zeitung fort! 

Illustrierte Kronen-Zeitung 31. Juli 1906 

Die 16 bis 18 Kronen, die Heinrich Dänemark in der Woche verdiente, entsprechen einer Kaufkraft von ca. 110 Euro. 

Transkript Fortsetzung 

Es wird ein Unglück geschehen. Von anderer Seite wird uns gemeldet: Dänemark wohnte mit einem Bruder, der Schlosser ist, und seiner Schwester bei seiner Mutter, Hormayergasse 3. Die Frau ist seit acht Jahren Witwe und bringt sich mit Waschen fort. Die ganze Familie erfreut sich im Bezirk des besten Leumundes. Heinrich Dänemark ist ein hübscher Bursche, er wird als stiller, sehr verschlossener Mann geschildert: er war ein braver Arbeiter, welcher 16 bis 18 fl. wöchentlich verdiente. Das Verhältnis mit der um vier Jahre älteren Leinfellner hatte er vor zirka einem Jahre geschlossen, als diese noch in der Feldgasse einen Posten als Dienstmädchen innehatte. Obwohl er wusste, dass das Mädchen bereits früher mit Schindler ein Verhältnis unterhalten hatte, dem auch ein Kind entsprossen ist, fasste er doch eine fast schwärmerische Zuneigung zu ihr, die von ihr noch genährt wurde. Sie schrieb ihm glühende Liebesbriefe, oft zwei bis drei an einem Tage. Vor etwa sechs Wochen löste das Mädchen das Verhältnis. Dänemark war darüber tief unglücklich und klagte seinen Freunden und seiner Familie wiederholt, dass er ohne das Mädchen nicht leben könne. Die Mutter suchte ihn zu trösten, doch er erwiderte: “Mutter, du wirst seh’n, es wird ein Unglück geschehen.“ Seitdem sehnte sich der junge Mann, der infolge eines Herzleidens ohnedies sehr leicht Aufregungszuständen unterworfen ist, vergebens nach der früheren Geliebten. Diese war unterdessen zu ihrem einstigen Geliebten, dem Eisendreher Adolf Schindler, zurückgekehrt und hatte mit diesem vor etwa drei Wochen in der Goldschlagstraße 122 eine Wohnung, bestehend aus Zimmer und Küche bezogen. Den Aufenthalt des Paares scheint Dänemark erst vor kurzem in Erfahrung gebracht zu haben. Sonntags kam er abends ganz verstört nach Hause. Er sprach mit niemandem und legte sich bald nieder. Die Nacht verbrachte er schlaflos. Gestern früh erhob er sich sehr zeitlich, sagte zu seiner Mutter, dass er nicht in die Arbeit gehe: er verließ, fast laufend, ohne Gruß das Haus. Im Hause Goldschlagstraße 122 befindet sich ein Gasthaus. Dorthin kam Dänemark schon um 6 Uhr früh, setzte sich im Vorgarten nieder und ließ sich ein Glas Bier geben. Es scheint, dass er da schon die Absicht hatte, das Paar abzupassen, es aber verfehlt hat. Er ging dann einige Male vor dem Haus auf und ab und entfernte sich schließlich. Um 10 Uhr kam er abermals in das Gasthaus und blieb dort bei einem Glas Bier bis gegen Mittag sitzen. Dem Kellner fiel das nervös aufgeregte Wesen des Gastes auf, doch schenkte er dem keine weitere Beachtung.  

Lehmann 1905, Gasthaus Mück in der Goldschalgstraße 122
1906-01-13 Wiener Zeitung Gasthaus Mück Goldschlagstraße 122, ANNO

Ich laufe nicht davon. Gegen Mittag begab sich Dänemark in das Haus und fragte die Hausbesorgerin in brüskem Ton: “Wohnt da der Schindler?” Die Frau entgegnete: Ja. Darauf: “Wohnt vielleicht die Leinfellner mit ihm.” Die Hausbesorgerin bejahte auch dies, fügte aber hinzu, da ihr das aufgeregte Wesen des Mannes auffiel: „Warum fragen Sie denn?“ Aber Dänemark gab keine Antwort mehr und stürmte eilenden Schrittes die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Wenige Minuten später spielte sich das oben geschilderte blutige Drama ab. Nach der Tat schleuderte der junge Mann den Revolver durch das Hoffenster in den Garten und suchte zu flüchten. Die durch die Schüsse alarmierten Hausbewohner eilten ihm nach, indes die Verletzten das Fenster öffneten und auf die Gasse riefen: “Lasst ihn nicht aus, wir sind angeschossen”. Beim Haustor wurde er eingeholt und festgenommen. Er war totenbleich und zitterte am ganzen Körper. Als ihn die Hausleute festhalten wollten, sagte er: „Lasst mich nur ruhig stehen, ich laufe nicht davon. Wenn ich doch jetzt noch eine Kugel hätte.“ Kurz darnach erschien ein Wachmann, der sowohl den Attentäter als auch die beiden Verletzten, die trotz ihrer Verwundung ganz gut gehen konnten, zur Wachstube eskortierte. 

Transkript Ende 

Über seinen Prozess berichtet die Illustrierte Kronen-Zeitung 3. Oktober 1906

Transkript (Auszug, da der größte Teil des Artikels aus einer Wiederholung der bereits bekannten Schilderung der Tat und ihrer Hintergründe besteht): 

Gestern hatte sich Heinrich Dänemark vor einem Erkenntnissenat unter Vorsitz des Landesgerichtsrates Dr. Hanusch wegen schwerer Körperverletzung zu verantworten. Er gab an, er wollte die beiden nur schrecken, habe aber nicht die Absicht gehabt, sie zu verletzen. Der Gerichtshof verurteilte Dänemark zu vier Monaten schweren Kerkers. 

Transkript 

Damit verschwindet der Eifersüchtige erst einmal von der Bühne. Drei Jahre später finden wir eine sonderbare kleine Nachricht in einer Zeitung: 

“Wiener Neueste Nachrichten” 13. September 1909 

Transkript 

Ein Schuss. Samstag gegen elf Uhr nachts gab in einer Pause während der Vorstellung des Neulerchenfelder Orpheums am Lerchenfeldergürtel der Zimmermalergehilfe Heinrich Dänemark im Garten einen scharfen Schuss aus einem Revolver ab. Verletzt wurde zum Glück niemand, doch hatte sich in dem stark besuchten Lokal des Publikums eine große Aufregung bemächtigt. Dänemark wurde zum Amte gestellt und behauptete, dass ihm die Waffe durch Zufall losgegangen sei. Er besitzt keinen Waffenpass. 

Transkript Ende 

Es wird wohl nicht viele Zimmermalergehilfen mit dem ungewöhnlichen Namen “Heinrich Dänemark” gegeben haben, also dürfen wir annehmen, dass es sich um denselben leicht erregbaren jungen Mann handelte. Wir können nur hoffen, dass er nicht wieder von einer Frau enttäuscht worden war und fleißig übte, um diesmal richtig zu treffen … 

Quellen

meine meinung

“Warum Österreich das Land der Frauenmörder ist” titelt “Die Wienerin” zu der unerfreulichen Tatsache, dass Österreich an der europäischen Spitze steht, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht. An dem Tag, an dem ich das schreibe, melden die Tageszeitungen den Prozess gegen einen älteren Wiener, der seiner Frau im Schlaf die Kehle durchgeschnitten hat – aus wahnhafter Eifersucht. Morgen, übermorgen, nächste Woche werden ähnliche Berichte in den Zeitungen stehen. Und so war es auch gestern und vorgestern: “Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich gar keiner haben!” 

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(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828

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