Lady in red – zu Besuch im Museum

Das „Bild des Monats“ zeigt diesmal einen Gast mit Geschichte. Die erste Personenwaage kam 1883 nach Wien, seit den 1950er-Jahren prägten vor allem Berkel-Personenwaagen das Stadtbild. Und seit 1988 betreiben und betreuen Karin und Andreas Popp die Münzpersonenwaagen.

Seit 5.3.2022 haben wir einen glamourösen Gast im Bezirksmuseum: Eine Personenwaage in klassischem Berkel-Rot. Bis Ende Jänner 2023 können Sie diese bei uns bewundern und auch benutzen! Aber Vorsicht: Sie geht sehr genau …

Personenwaagen findet man heute bei Öffi-Haltestellen, auf Märkten und auf Plätzen. Meist aber nimmt man sie aber nicht wahr. Sie sind unsichtbare Sehenswürdigkeiten.

Personenwaage bei der Schmelzbrücke 2021, Foto: Brigitte Neichl

Und wenn Sie genauer hinsehen, werden Sie die Aufschrift „BERKEL“ erkennen.

Was bedeutet dieser Name? Nun, er gehört Wilhelmus Adrianus van Berkel, einem niederländischen Fleischer und Erfinder.

Wilhelmus Adrianus van Berkel (1869-1952) – Fleischermeister und Erfinder

Wilhelmus Adrianus van Berkel wurde 1869 in Enschot, Niederlande, geboren. Er war vorerst als Fleischer in Rotterdam tätig. Er interessierte sich aber sehr für Technik und Mechanik. In den 1890er Jahren erfand er Maschine mit Handautomatik, um Fleisch und Wurst präziser und schneller schneiden zu können.

In seinem Patentantrag – angemeldet am 7. März 1898, veröffentlicht am 11. Februar 1899 – heißt es (Übersetzung aus dem Englischen):

„ICH, WILHELMMUS ADRIANUS VAN BERKEL, wohnhaft Rotterdam, Binnenweg 68, im Königreich von Holland, Handwerker, erklärt hiermit, dass diese Erfindung folgendermaßen beschaffen ist:
Die vorliegende Erfindung bezweckt eine Maschine zum Aufschneiden von deutschen Würsten und ähnlichen Fleischwaren, in der ein feststehendes, aber ständig rotierendes Kreismesser in Kugel- oder Scheibenform zum Schneiden der Wurst angeordnet ist.

Hier können Sie den Original-Patentantrag nachlesen.

Wilhelmus Adrianus van Berkel, antik, W. A. Van Berkel, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Am 12. Oktober 1898 gründete Berkel in Rotterdam die weltweit erste Fabrik für Aufschnittmaschinen. Im Jahr 1899 verkaufte und versandte er bereits 84 seiner Maschinen. In den Jahren 1907 und 1908 expandierte van Berkel ins Ausland und war sehr erfolgreich. (Quelle: Wikipedia)

Während des Ersten Weltkrieges erweiterte Berkel die Produktion auf gewerbliche Präzisionswaagen, Drehmaschinen, mechanische Geräte und sogar Flugzeuge. (Quelle Webseite Berkel)

Nicht jede Zeiger=Waage ist eine Berkel=Waage

1927 wurden Berkel-Schnellwaagen (noch keine Personenwaagen!) auch in Österreich vertrieben. Im folgende Anzeige der „Freien Stimmen“ vom 18.5.1927 heißt es: „Wir eröffnen unsere Büros sowie Verkaufsräume und Showrooms: Wien 1., Schottengasse 11, am Schottentor.“ Die Überschrift der Annonce lässt vermuten, dass Berkel-Waagen als Qualitätsprodukte angesehen wurden.

1927-05-18 Freie Stimmen_Anzeige Berkel Waage, ANNO

Doch verfolgen wir nun kurz die Geschichte der Personenwaagen, wo wir auch der Firma Berkel wieder begegnen werden.

Die Personenwaage erobert Wien

Im Mai 1888 bei der Jubiläums-Gewerbe-Ausstellung anlässlich des 40-jährigen Thronjubiläums von Kaiser Franz Josef I. im Prater wurden die neuesten Erzeugnisse der österreichischen Industrie- und Gewerbeproduktion vorgestellt. Dabei konnte erstmals ein breiteres Publikum eine der „automatische Waagen mit Münzeinwurf“ erproben.

Ab dann war der Siegeszug der Personenwaage mit Münzeinwurf nicht mehr aufzuhalten.

„Die Modelle, die man heute in der Stadt findet, sind teilweise fast Originale. Sie bestehen aus einem Podest, das mit einem kastenförmigen Metallkorpus verbunden ist, der den Einwurfschlitz für die Münzen und – in Augenhöhe und hinter Glas – eine runde Anzeige mit Kilogramm-Skala und Zeiger aufweist.

Das Design der Waagen durchlief nur einige kleine Anpassungen, was auch währungsbedingt war. So kostete das Wiegen früher noch drei Kreuzer, später zehn Groschen, dann einen Schilling, bis dieser bei der letzten Währungsreform von 20 Cent abgelöst wurde.

Die Farben der Waagen sind nicht unauffällig, vor allem die roten Modelle sorgen beim Vorbeigehen für Aufmerksamkeit. In der Zwischenkriegszeit verbreiteten sich die öffentlichen Personenwaagen in Wien immer mehr, es kamen neue Hersteller dazu, so auch das niederländische Unternehmen Van Berkel.“
 (Quelle: the gap)

Van Berkel Maschinenfabriks-GmbH in der Erdberger Lände 28

Im Neuen Wiener Tagblatt vom 25.9.1940 lesen wir, dass die Erdberger Maschinenfabrik in der Erdberger Lände 28c in die Van Berkel AG überführt wurden.

1940-09-25 Neues Wiener Tagblatt, S. 11_Berkel in Wien, ANNO
Erdberger Lände 28, Plan: wien.gv.at

Wilhelmus Adrianus van Berkel starb 1952.

1993 wurde die Firma Berkel vom englischen, multinationalen Unternehmen GEC (*) übernommen und 2004 ging sie zu einer italienischen Unternehmergruppe über. (Quelle Webseite Berkel)

(*) Die englische General Electric Company Ltd., die meist unter dem Kürzel G.E.C. auftrat wurde 1886 in London gegründet. 1889 erfolgte die Umbenennung in General Electric Company Ltd. Zunächst produzierte GEC Elektroartikel wie Schalter, Klingeln, Glühlampen, Telefone und Elektromotoren. Später kamen Radioröhren, Aufzüge und Radargeräte hinzu. Die beginnende Elekrifizierung ließ das Unternehmen rasant wachsen. GEC eröffnete überall auf der Welt Niederlassungen, vor allem innerhalb des britischen Kolonialreiches. Während der beiden Weltkriege war GEC ein Hauptlieferant von elektrische Ausrüstungen für die britische Armee. Daneben war das Unternehmen am Aufbau des britischen Stromnetzes beteiligt. Durch eine ganze Reihe von Übernahmen wuchs G.E.C. zu einem der größten europäischen Elektronik- und Rüstungskonzerne heran (Flugzeug- und Schiffselektronik, Kraftwerksturbinen, Schiffe, Atom-U-Boote, Torpedos, Hochgeschwindigkeitszüge, elektrische Hausgeräte, Computer, medizinische Ausrüstungen, Klimaanlagen, Aufzüge). Mehr zu GEC hier.

Die Berkel-Waage in Wien

Die Berkel-Waage aber prägte weiter das Stadtbild von Wien. 1987 wurde die letzte Münzpersonenwaage der Firma Berkel ausgeliefert. Vom Münzwiegeunternehmer Stephan Szupper haben dann Karin und Andreas Popp 1988 das Geschäft übernommen und betreiben und betreuen die Waagen bis heute. Und sie waren auch so freundlich, uns die „Lady in Red“ für die Dauer der Sonderausstellung „Medizin – Gesundheit – Wohlbefinden“ (vom 13.3.2022-30.1.2023) zu leihen.

Aktuell gibt es noch 150 Stück dieser Berkel-Personenwaagen in Wien (österreichweit rund 400). Im 15. Bezirk gibt es dzt. 8 davon. Mehr dazu lesen Sie in unserem Blogartikel „FAQ15/090 Kennen Sie die Personenwaage bei der Schmelzbrücke?“

Mehr zum Thema „Personenwaagen“ finden Sie in dem spannenden Artikel des Stadtforschers Peter Payer: Zur Geschichte der öffentlichen Personenwaagen in Wien (ab S. 308).

Damit genug für heute:
Gehaben Sie sich wohl!
Ihre Brigitte Neichl

Verstand, Herz und gute Laune

Der Untertitel unseres Blogs lautet „DER KulturBlog aus Wien Rudolfsheim-Fünfhaus für Verstand, Herz und gute Laune, bei dem es um Menschen & Themen aus dem 15. Wiener Gemeindebezirk in Vergangenheit und Gegenwart geht.“

Den Zusatz „für Verstand, Herz und gute Laune“ gibt es seit 27.6.2021. Er ist eine Hommage an die Zeitschrift „Oesterreichisches Bürgerblatt für Verstand, Herz und gute Laune“, die von 1819-1857 (vom 6.1.1819-1819-29.7.1835 unter diesem Titel, dann in Variationen) im Verlag Friedrich Eurich erschien.

Wir identifizieren uns nicht mit der Ausrichtung dieser Zeitschrift. Diese drei Worte haben uns aber angesprochen, weil sie sehr anschaulich das ausdrücken, wofür wir stehen und weil die Kombination einfach genial ist 😉

Wir sind ständig bestrebt, unser Wissen über die Geschichte des 15. Bezirks zu erweitern und möchten diese Erkenntnisse auch an Sie als Leserinnen und Leser dieses Blogs weitergeben (Verstand) und wir berichten hauptsächlich über jene Menschen, die sonst keine Stimme hatten, wir möchten sie und ihr Leben sichtbar machen (Herz). Aber selbstverständlich soll auch der Humor nicht kurz kommen, denn er erleichtert das Leben und auf diesem Wege lässt sich auch sehr viel an Wissen transportieren (gute Laune).

Liebe Leserin, lieber Leser!

Ihnen fehlt etwas? Sie haben weiterführende Informationen?
Dann schreiben Sie doch einfach einen Kommentar. Nützliche Inhalte mit Quellenangabe bauen wir – mit Verweis auf Ihren Kommentar – gerne noch in den Text ein. Alternativ können Sie uns auch ein Mail an office@bm15.at schicken!

Oder wie es Anton Ziegler 1828 (*) so schön ausgedrückt hat:

Jede Belehrung und Berichtigung, welche in Beziehung auf größere Vervollkommnung und Gemeinnutzmachung dieser Herausgabe beabsichtigt ist, wird mit dem ausgezeichnetsten Danke empfangen.

(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828

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Schau mal, ich hab was Interessantes auf WIENfünfzehn gefunden!

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