Der Name Irma Handl ist heute fast niemandem in Österreich mehr ein Begriff. Dabei zählte sie Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Personen der Wiener Kinoszene. Geboren als Maria Hahnl am 27.06.1870 leitete sie neben Kinos auch erfolgreich Filmleihanstalten. Über Irma Handls Privatleben ist wenig bekannt, ihre Arbeit in der Mariahilferstraße spricht aber für sich.
Die Mariahilferstraße galt Anfang des 20. Jahrhunderts als eine der Kinostraßen Wiens. Neben dem 6. und 7. Bezirk war auch Rudolfsheim-Fünfhaus einer der Bezirke, in dem viele Kinos zu finden waren. Zusammen kamen die drei Bezirke auf einen Anteil von 16 Prozent aller Kinos.
Wie Werner Michael Schwarz betont, war die Mariahilferstraße bereits vor dem 19. Jahrhundert eine wichtige Verkehrsverbindung vom Stadtzentrum in den Westen, die tiefgreifenden Veränderungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwandelte die Mariahilferstraße jedoch in das wichtigste Handelszentrum der Stadt Wien.
„An die Stelle der Gasthöfe als Zentrum von Kommunikation und Kultur traten neue Formen von spezialisierten Unterhaltungsbetrieben, die den strukturellen Veränderungen Rechnung trugen, darunter vor allem Varietés und Kinos“.
Werner Michael Schwarz
In der „Kinostraße“ Mariahilferstraße gab es 1909 fünf Kinos, das entsprach einem Anteil von 8,8 Prozent aller Kinositzplätze in Wien.
Auch für Irma Handl war die Mariahilferstraße von großer Bedeutung. In den Jahren 1908 bis 1911 betrieb sie das Wiener Kinematographentheater mit einem Fassungsraum von 160 Sitzen in der Mariahilferstraße 169. 1911 transferierte sie ihre Lizenz in die Mariahilferstraße 160 und führte ab 1927 das Kino unter dem Namen Kino Handl.

Während es ursprünglich nur 160 Sitze gab, hatte das neue Kino bereits für 406 Besucher*innen Platz, 148 Sitze davon waren Banksitze in der billigsten Kategorie. Nach einigen Um- und Zubauten fasste das Kino 1934 700 Personen. Auch im 9. Bezirk besaß Irma Handl ein Kino, das Palastkino in der Alserstraße 28 sowie ein Kino in der Untere Augartenstraße 28 im 2. Bezirk.
Soziale Klassenunterschiede durch Platzwahl gekennzeichnet
Der Besuch des Kinos wurde von Arm und Reich gleicherweise genossen, dennoch gab es auch in den Kinos eine durch die Umbauarbeiten geschaffene sozialen Differenzierung. Es wurden nicht nur Logen eingebaut, sondern auch unterschiedliche Preiskategorien eingeführt.
Obwohl der Einbau von Logen eine Reduktion der anderen Sitzplätze bedeutete, wurde diesem potenziellen Verlust durch die Preiserhöhung für diese Logen entgegengewirkt. Auch in das im Rokokostil gehaltene Kino Handl wurden bereits 1908 24 Logen eingebaut und laut einem Artikel im Österreichischen Komet feierlich und in Anwesenheit der Aristokratie wiedereröffnet.
Zu einem weiteren Umbau kam es ein paar Jahre später, im Jahr 1911 wurde der Zuschauerraum vergrößert, jetzt hatten 400 Personen Platz. Wie das Deutsche Volksblatt berichtete, war das Kino ab jetzt „brillant ventiliert“ und am Komfort konnten sich alle BesucherInnen erfreuen.

Transkript
Eine neue Sehenswürdigkeit für die westlichen Bezirke Wiens ist das von der beliebten Direktrice Irma Handel gestern abends neueröffnete „Erste Wiener Kinomatografentheater“, Mariahilfer Straße 160.
Die Besitzerin Frau Handl beim Publikum durch ihre erstklassigen Unternehmungen auf dem Gebiete der Kinematographie aufs beste bekannt, hat vor kurzem das große Eckhaus Sperrgasse Mariahilferstraße gekauft und weder Kosten noch Mühen gescheut, um darin eines der schönsten Kinematographentheater Wiens zu adaptieren. Der Zuseherraum, welcher einen bequemen Fassungsraum für 400 Personen enthält, ist mit allem erdenklichen Komfort ausgestattet und bietet, was die Hauptsache ist, dem Publikum in jeder Hinsicht, die denkbar größte Sicherheit.
Das Theater ist brillant ventiliert und dürfte dieses selbst den verwöhntesten Anforderungen voll auf entsprechende Unternehmen für kinomatographische Vorstellungen bald zu den besuchtesten und beliebtesten Etablissements zählen. Frau Handl ist auch Besitzerin einer der größten Filmleihanstalten und daher in der Lage, stets durchwegs aktuelle erstklassige Neuheiten aus der ganzen Welt in ihrem reichhaltigen Programme zu bieten. Die Konzertbegleitung der einzelnen Bilder besorgt eine vorzüglich geschulte Salonkapelle, die den Bildern erst das richtige Leben verleiht. Am gestrigen Eröffnungstage waren sämtliche Vorstellungen ausverkauft und unterhielt sich das Publikum ausgezeichnet. Jedenfalls der beste Beweis für die Vortrefflichkeit des Gebotenen. Als Sensationsnummer wurde in sämtlichen Vorstellungen bereits die äußerst gelungene kinomatographische Aufnahme des am Vormittag in Wien am Penzinger Bahnhofe eingetroffenen deutschen Kaiserpaares gezeigt.
Transkript Ende
Da Irma Handl nicht nur Kinos besaß, sondern auch noch die Besitzerin einer der größten Filmleihanstalten, war sie in der Lage die neuesten Filmerscheinungen aus der ganzen Welt nach Wien zu bringen. Unter dem Namen Globusfilm fand man in der Mariahilferstraße 160 die Filmverleihanstalt, die von Irma Handls Bruder Adolf Szamer und Eduard Szircli als Inhaber betrieben wurde. Die Leitung wurde den Herren Josef Tauber, ehemaliger Geschäftsführer des Kino Stiller, und Ludwig Frieser, dem Geschäftsführer des Kino Handl übertragen.
Die Frau hinter den Kulissen
Irma Handl war zu ihren Lebzeiten in Wien eine gern gesehene Persönlichkeit. 1914 berichtete die Kinematographische Rundschau über die erfolgreiche Geschäftsfrau und ihr Leben. Irma Handl wurde als eine Wiener Frohnatur, die sich bis ins hohe Alter ihre Jugend bewahren konnte, beschrieben. Privat liebte es Irma Handl Gäste bei sich zuhause zu empfangen und für sie zu kochen, mit ihren Gedanken war sie aber oft im Theater oder Filmgeschäft. Sie wurde von allen geschätzt, nahm ihren Beruf ernst und das Leben heiter. Irma Handl hatte auch eine kämpferische Seite, sie engagierte sich für das Kino in Wien, setzte sich für die Allgemeinheit ein und hatte für jeden ein offenes Ohr.

Die Kinopionierin Irma Handl war ihrer Zeit voraus; nicht nur, dass sie als Frau zur damaligen Zeit Kinobesitzerin war, sie hatte auch den Blick für den richtigen Moment und wusste, wie sie sich der modernen Zeit anpassen konnte.
„Wenn heute Frau Irma Handl eine ‚vielfach versteckte Hausfrau‘ und Gutsbesitzerin im Waldviertel ist, so hat sie diese irdischen Güter, nur ihrem rastlosen Fleiß und ihrer außerordentlichen Tatkraft zu verdanken. Ohne sich viel um das, was andere tun, zu kümmern, geht sie sicher wie ein Mann ihren eigenen Weg und so hat sie es nicht nur zur großen Theaterbesitzerin, sondern auch zur Besitzerin einer der größten und angesehensten Leihanstalten gebracht“
1914-01-18 Kinematographische Rundschau S. 95
Irma Handl starb am 22. April 1944 nach langer und schwerer Krankheit im 74. Lebensjahr. Die Seelenmesse wurde am 9. Mai 1944 in der Kirche Maria vom Siege gelesen. Sie wurde in der Familiengruft am Wiener Zentralfriedhof beerdigt.

Quellen:
- Deutsches Volksblatt. 25. März 1911, Seite 7. Nr. 7985. ANNO.
- Kinematographische Rundschau. 18. Jänner 1914, Seite105. Nr. 305. ANNO.
- Neue Kino-Rundschau. 27. August 1921, Seite 10. Nr. 2331231. ANNO
- Neues Wiener Tagblatt. 26. April 1944, Seite 5. Nr. 115. ANNO.
- Schwarz, Werner Michael. Kino und Kinos in Wien: Eine Entwicklungsgeschichte bis 1934. Turia & Kant: Wien, 1992.
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(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828
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