Sein erster „Fang“ war Hugo Schenk
Diesmal geht es in „History & Crime“ um Moriz Moses Stukart (1856 bis 1919) der einer der ganz Großen der Kriminalistik war. Aber schon als „Frischg´fangter“, gerade einmal zwei Jahre lang (seit 1882) im Polizeidienst tätig, leistete der aus Böhmen stammende Jurist 1884 sein Meisterstück.
Barbara Büchner recherchiert unermüdlich in Archiven, durchforstet dutzende Zeitungsartikel und trägt für Sie die spektakulärsten Fälle zusammen, die sich auf dem Gebiet des heutigen 15. Bezirks zugetragen haben oder von Personen handeln, die im heutigen Rudolfsheim-Fünfhaus wohnhaft oder beruflich (oder sonst wie) tätig waren.
INHALT
- Conceptspracticant unterstützt bei Ergreifung des Serienmörders Hugo Schenk
- Ein Mährer in der Hauptstadt Wien
- Die Opfer des Serienmörders (alle 1883)
- Moriz Stukart fügt das Kriminalpuzzle zusammen
- Die unheimlichen Schmuckstücke
- Zusammenarbeit mit der Presse
- Die rasante Karriere des Moritz Stukart
- Ein Anschlag auf den guten Ruf: Die „Venusfalle“ Komtesse Mizzi
- Ein Gründungsvater der modernen Kriminalwissenschaft
- „Sein Name wird in der Erinnerung der Wiener Polizeidirektion fortleben“
- Meine Meinung
- Quellen
Conceptspracticant unterstützt bei Ergreifung des Serienmörders Hugo Schenk
Moriz Stukart hatte entscheidenden Anteil an der Verhaftung des Dienstmädchen-Serienmörders Hugo Schenk und dessen Komplizen Karl Schlossarek sowie Schenks schwachsinnigem Bruder Karl.
Für seine Arbeit an dem Fall wurde er vom „Conceptspracticanten“ zum „Concipisten“ befördert. Darüber berichtete u.a. das Mährische Tagblatt vom 19. September 1884.
Transkript
(Auszeichnung eines Mährers.) Der Statthalter in Niederösterreich hat den Conceptspracticanten der Wiener Polizei=Direction, Moriz Stukart zum Concipisten bei dieser Polizei=Direction ernannt. Für Herrn Stukart, der ein geborener Mährer ist, hat diese Beförderung die Anerkennung seiner in den Vorerhebungen zur Schenk=Affaire an den Tag gelegten Umsicht zu bedeuten.
Transkript Ende
Zum Titel „Polizeikonzipient“ ist in Wikipedia zu lesen:
Zitat aus Wikipedia, abgerufen am 20.4.2022
Konzipist oder Konzipient ist eine Berufsbezeichnung, die überwiegend in Österreich-Ungarn verwendet wurde und heute in Österreich immer noch gebräuchlich ist. Es handelt sich dabei und zumeist um einen Beamten oder Angestellten, der von Berufs wegen Entwürfe und Konzepte (v. lateinisch: conceptus = das Zusammenfassen, concipere = erfassen, in sich aufnehmen), Problemlösungen, Programme, Theorien etc. für seine jeweilige Institution zu entwickeln hatte. Als Vorstufe zu diesem Beruf war man Konzeptpraktikant.] Der Berufsbezeichnung des Konzipisten entspricht heute wohl am ehesten ein „Projektleiter“.
[Zitat Ende]
Die Presse sah ihn danach trotz seiner Jugend und vergleichsweise niedrigen Stellung ganz selbstverständlich als „zweiten Mann“ an der Seite des altgedienten, damals bereits in der gesamten Monarchie und darüber hinaus berühmten Polizeirat Breitenfeld, dessen Nachfolger er schließlich werden sollte. Bald hieß es in Wien bei schwierigen Fällen nicht nur: „Der Breitenfeld wird’s schon herauskriegen!“, sondern auch „Der Stukart wird’s schon herauskriegen!“.
Ein unzertrennliches Paar: Polizeirat Breitenfeld und sein Konzipient und späterer Nachfolger Moritz Stukart bei der Bearbeitung des Falles Schenk.
Ein Mährer in der Hauptstadt Wien
Geboren in Datschitz, Mähren (Dacice, Tschechien), am 27. 11. 1856 als Sohn eines jüdischen Wollfabrikanten, absolvierte Moriz das Gymnasium in Znaim (Znojmo) und trat unmittelbar nach dem Jusstudium an der Universität Wien 1882 in den Dienst der Wiener Polizei. Dort machte er eine rasante Karriere, beginnend mit dem bis heute unvergessenen Fall der Frauenmörder Hugo Schenk und Karl Schlossarek, bei dem der damals noch sehr junge Beamte seine außerordentlichen Fähigkeiten bewies.
Hugo Schenk, dem vier Morde an Frauen nachgewiesen wurden (verübt hat er mit großer Wahrscheinlichkeit einige mehr) war ein schwer zu fangender Verbrecher. Intelligent, skrupellos, schlüpfrig und hinterlistig, wechselte er andauernd Namen, Lebensgeschichte (er gab sich zeitweise als russischer Anarchist oder polnischer Fürst aus) und Wohnort.
Ebenso ließ er sich nicht auf einen bestimmten Tatort oder einen typischen „Modus operandi“ – für einen Täter charakteristische Methode, seine Verbrechen zu begehen – festlegen. Gemeinsam war allen Taten nur, dass die Ermordeten nicht mehr ganz junge und sehr heiratswillige Dienstmädchen mit gut gefüllten Sparbüchern waren und alle bis auf den letzten Groschen ausgeplündert wurden.
Die Opfer des Serienmörders (alle 1883)
Sein erstes Opfer wurde das 34jährige Stubenmädchen Josefine Timal, das Schenk in einen Wald bei Weißenkirchen lockte, bewusstlos schlug und mit einem Stein beschwert in einem Tümpel, dem „Gevatterloch“, ertränkte. Ihre Tante, die 47jährige Köchin Katharina Timal, die er als gefährliche Zeugin fürchtete, wurde nach Krummnussbaum gelockt, im Auwald mit einem Messer ermordet und in die Donau geworfen.
Die Köchin Theresia Ketterl wurde auf der Reisalpe bei Lilienfeld erschossen und in eine tiefe, versteckte Schlucht geworfen. Die 33jährige Köchin Rosa Ferenczi wurde in den Donauauen bei Pressbaum von dem heimlich nachschleichenden Schlossarek mit einer Hacke erschlagen und ihre Leiche in der Donau versenkt.
Josefine Eder und Emilie Höchsmann entgingen nur knapp demselben Schicksal, sie standen bereits auf der „Todesliste“, als Schenk verhaftet wurde.
Moriz Stukart fügt das Kriminalpuzzle zusammen
Um diese Zusammenhänge wussten freilich vorerst nur die beiden Brüder Schenk und ihr Komplize Schlossarek. Man muss bedenken, dass es selbst heute, im Computerzeitalter, noch Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit verschiedener Polizeidienststellen gibt. Wie war das erst damals, im riesigen Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn mit seiner viel-sprachigen Haupt- und Residenzstadt, in der Tausende Bürger*innen aus den Teilstaaten der Monarchie, vor allem Dienstbot*innen, kamen und gingen, ohne dass es jemanden interessiert hätte!
Vermutlich war es Stukart, dem als Erstem auffiel, dass einige Fäden zusammenliefen. Er war es ja, der die verschiedenen Eingänge im Sicherheitsbüro kontrollierte und auf ihre Zugehörigkeit zu offenen Fällen durchforschte. Man muss sich diese täglichen Eingänge im Sicherheitsbüro vorstellen, als hätte jemand alle Teile eines riesengroßen Puzzles auf den Schreibtisch von Moriz Stukart geschüttet: Finde heraus, was zusammengehört!
Überall verstreut lagen die Puzzleteile des Mordrätsels, hinter dem sich „ein unmenschlich herzlos Ungeheuer“ verbarg. Wie sollte jemand auf den Gedanken kommen, dass sie zusammengehörten?
Auf dem Berghang „Steigleiten“ bei Lilienfeld wurde die verweste Leiche einer durch Kopfschuss getöteten Frau aufgefunden, die später als die Köchin Theresa Ketterl agnosziert wurde. In Wien-Alsergrund verschwand das Dienstmädchen Josefine Timal, aus Budweis ihre Tante Katharina Timal. Bei Kittsee fischte man aus der Donau eine mit Steinen beschwerte Frauenleiche. Sie wurde später als das Dienstmädchen Rosa Ferenczi identifiziert. Und Hugo hatte noch viel vor: Man fand in seiner Wohnung einen Koffer mit diversen Mordwerkzeugen und rund sechshundert Briefen von Frauen, die ihn gerne kennengelernt hätten …
Schenk hatte jedoch das gute Gedächtnis des jungen Konzipienten unterschätzt.
Puzzleteil Nr. 1: Eines der spurlos verschwundene Opfer war mit einem feschen blonden Bartträger gesehen worden.
Puzzleteil Nr. 2: Ein anderes Opfer turtelte mit einem gewissen Hugo Schenk, der fesch, blond und bärtig war.
Puzzleteil Nr. 3: Den Namen Schenk hatte man im Verbrecheralbum als den eines vorbestraften Heiratsschwindlers. Man setzte sich also diskret auf seine Spur. Nicht so einfach, denn die Adresse Goldschlagstraße 16, wo Schenk polizeilich gemeldet war, diente nur als Briefkasten. Er wohnte teils bei seinem Komplizen Schlossarek in der Sturzgasse 1, teils bei seinem Bruder in der Sperrgasse 5, oder bei seinen Geliebten in St. Pölten und Linz. Denn, um die Dinge noch komplizierter zu machen: Schenk war legitim mit einer Frau Wanda verheiratet, die ihn nur selten sah (die Geschäftsreisen!) und hatte nebstbei noch zwei ständige Geliebte, die nichts voneinander wussten und ihn beide zu heiraten hofften. Breitfeld und Stukart hetzten hinter ihm her wie Hunde hinter einem Hasen, der unablässig Haken schlägt.
Die unheimlichen Schmuckstücke
Dass Breitfeld und Stukart Hugo Schenk schnappten, ist ihrer engen Zusammenarbeit mit der Presse zu verdanken: Einer Emilie Höchsmann in Linz, Schenk-Geliebte Nr.1, fiel auf, dass die Geschenke ihres zukünftigen Gatten eine beunruhigende Ähnlichkeit mit dem Schmuck der ermordet aufgefundenen Therese Ketterl hatten – und obwohl es ihr das Herz brach, lieferte sie Schenk ans Messer. Sie fuhr auf der Stelle nach Wien, und ihre Aussagen vor Breitenfeld und Stukart vollendeten das labyrinthische Gewirr von Spuren, welche die beiden Kriminalisten inzwischen gesammelt hatten, zu einem klaren Bild!
Zusammenarbeit mit der Presse
Die enge Zusammenarbeit mit der Presse blieb charakteristisch für den späteren Leiter des Sicherheitsbüros Moriz Stukart und war ihm bei vielen komplizierten Fällen von Nutzen. Bereits seit 1853 bis mindestens 1898 gab es übrigens das „Central-Polizei-Blatt“ mit Steckbriefen, Überwachungs- und Ausforschungs-Anzeigen, polizeistatistischen Angaben, erstellten und erledigten Steckbriefen, Tat- und Täterbeschreibungen, Aussehen, Berufen und natürlich die begangenen Delikte der beschriebenen Personen, Verfügungen über verbotene Druckschriften sowie eine Liste der landesverwiesenen und abgeschafften Ausländer.
1884-01-11 „Morgen-Post“ S 2 ANNO
Die rasante Karriere des Moriz Stukart
Die Zeitungen waren voll des Lobes für die tüchtigen Kriminalisten, die das schier Unmögliche geschafft hatten, und verfolgten mit Interesse die weitere Karriere des jungen Stukart, der ihre Erwartungen nicht enttäuschte.
1877: Jusstudium an der Universität Wien
Von 1882 an durchgehend im Dienst der Wiener Polizeidirektion, zunächst im Stadtkommissariat, dann bei der Staatspolizei und schließlich in der kriminalpolizeilichen Abteilung für schwere Verbrechen, dem Sicherheitsbüro. Dabei machte er sich schon 1884 einen Namen durch die Verhaftung des lange gesuchten Dienstmädchen-Serienmörders Hugo Schenk.
1896: Beförderung zum Oberkommissär
1899–1917: Chef des Sicherheitsbüros
1908: Beförderung zum Regierungsrat
1909: Aufklärung des spektakulären Falles des Giftmörders Adolf Hofrichter, der auch im Ausland großes Aufsehen erregte. Der Generalstabsoffizier Richard Mader wurde am 17. November 1909 von seinem Diener in seiner Wiener Wohnung tot am Boden liegend angetroffen: Zyankalivergiftung! Die militärische Abwehr vermutete einen politischen Hintergrund. Regierungsrat Moriz Stukart, Leiter des Wiener Sicherheitsbüros, dessen Ermittler in die Aufklärung des Mordfalls eingebunden waren, schloss allerdings auf ein persönliches Motiv – und behielt recht. Das Mordmotiv war Eifersucht eines weniger erfolgreichen Militärs, Adolf Hofrichter.
1910: Stukart nahm im März 1910 am Mordprozess gegen Maria Tarnowska in Venedig teil. Die attraktive Gräfin hatte einen ihrer Liebhaber bewogen, in Venedig ihren schwerreichen Verlobten Paul Graf Kamarowski zu erschießen. Der Großgrundbesitzer Kamarowski hatte Maria Tarnowska als Universalerbin eingesetzt und in Wien zu ihren Gunsten eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen. Gräfin Tarnowska und zwei ihrer Komplizen wurden von Ermittlern des Wiener Sicherheitsbüros verhaftet und zu Geständnissen bewogen.
Am 1. Jänner 1910 wurde Stukart vom Kaiser wegen seiner Leistung als einer der erfolgreichsten Konzeptsbeamten (in seiner Amtszeit wurden 58 von 60 Raubmorden geklärt!) geehrt.
1913: Ernennung zum Hofrat sowie 1917 zum „Wirklichen Hofrat“.
Stukart erhielt 1911 den Orden der Eisernen Krone III. Kl. und 1916 das Komturkreuz des Franz Joseph-Ordens sowie zahlreiche ausländische Orden.
Moriz Stukart war Gründungs- und Vorstandsmitglied der Österreichischen Kriminalisten-Vereinigung.
Ein Anschlag auf den guten Ruf: Die „Venusfalle“ Komtesse Mizzi
Moriz Stukart war nicht bei allen Wiener*innen beliebt, was zum Teil mit seiner Stellung als hochrangiger Polizeibeamter zu tun hatte, teils auch mit dem damals in Wien bereits schwelenden Antisemitismus. Nach dem Prinzip: „Ordentlich anpatzen – irgendwas bleibt immer hängen“ war er zuweilen Angriffen und Verleumdungen ausgesetzt, gegen die er sich (erfolgreich) mit Ehrenbeleidigungsprozessen wehrte.
Zitat aus „Magazin der Landespolizeidirektion Wien, Nr. April-Juni 20202„, abgerufen am 2022-04-19
„1909 gab es in der Wiener Gesellschaft einen aufsehenerregenden Sittenskandal. Nach einer anonymen Anzeige wurde der ehemalige Kavallerieoffizier Marcel Conte Veith von Ermittlern des Sicherheitsbüros einvernommen und festgenommen, weil er sich unberechtigt mit dem Adelstitel Graf geschmückt hatte. Die Anklage wurde auf Kuppelei ausgeweitet. Veith wurde verdächtigt, seine Stieftochter Maria Mizzi Veith ab ihrem 15. Lebensjahr gegen Bezahlung Männern als Gesellschafterin angeboten zu haben, darunter waren Hochadelige, Abgeordnete, neureiche Bürger und hochrangige Beamte. Marcel Veith wurde im Juli 1908 wegen Kuppelei zu einem Jahr schweren Kerkers verurteilt. Da Maria Veith, in Tageszeitungen Komtesse Mizzi genannt, geprahlt hatte, dass sich Moritz Stukart an sie herangemacht und ihr Briefe geschrieben hätte, und Marcel Veith behauptet hatte, der Sicherheitsbüro-Chef sei unter den Kunden seiner Stieftochter gewesen, geriet Stukart in Bedrängnis. Bei einem Ehrenbeleidigungsprozess stellte sich heraus, dass die Beschuldigungen erfunden waren. Komtesse Mizzi konnte vor Gericht nicht mehr als Zeugin aussagen. Sie hatte den Skandal nicht verkraftet und sich in die Donau gestürzt. Stukart, dem die Beschuldigungen emotional enorm zugesetzt hatten, hatte seine Ehre wiedererlangt.“
[Zitat Ende]
Transkript:
Gerichtssaal. – Ehrenbeleidigungsprozess des Regierungsrats Stukart gegen Dr. Hofmokl und Anna Veith. – Glänzende Rechtfertigung des Regierungsrates Stukart.
Doktor Hofmokl und Anna Veith freigesprochen. Wie man es im Interesse der Öffentlichkeit, im Interesse des Ansehens unserer Sicherheitsbehörde erhofft, ja man darf mit Recht sagen, erwartet hat, ist es eingetroffen. Der Chef des Sicherheitsbüros, Regierungsrat Moriz Stukart, ist ohne den geringsten Makel an seiner Ehre und an seinem Amtscharakter aus diesem schimpflichen Prozess hervorgegangen, in den ihn die Prahlereien eines lügenhaften Mädchens, die Phantasie einer schwachsinnigen Mutter und nicht zuletzt das übersprudelnde Temperament eines allzu gläubigen Verteidigers hineingehetzt haben. Klar und deutlich ist gestern im Gerichtssaal bewiesen worden, dass Regierungsrat Stukart die „Komtesse Mizzi“ nie gekannt hat, das muss festgestellt werden. Diese Genugtuung ist man diesem um das Sicherheitswesen der Stadt hochverdienten Manne schuldig. Denn durch mehr als zwei Monate wurden die gegen ihn vorgebrachten Verdächtigungen in der Öffentlichkeit besprochen und es fehlte nicht an Stimmen, die ihn für schuldig hielten.
Transkript Ende
Moriz Stukart zeigte sich den falschen Anklägern gegenüber überaus großmütig; er verzichtete auf eine Fortführung der Verleumdungsklage, sodass Dr. Hofmokl und Anna Veith freigesprochen das Gericht verlassen durften – dem übereifrigen Advokaten Hofmokl blieb dadurch vermutlich ein Berufsverbot erspart.
Ein Gründungsvater der modernen Kriminalwissenschaft
Zitat aus dem „Österreichischen Bibliographischen Lexikon“, abgerufen am 2022-04-19
„Während seiner Amtszeit führte er im Sicherheitsbüro weitreichende organisatorische Reformen durch, etwa die Einrichtung von Spezialreferaten für die verschiedenen Deliktsgruppen, wodurch eine größere Spezialisierung der Kriminalbeamten mögl. wurde. Auch die 1904 durchgeführte Übersiedlung in das neue Gebäude an der heutigen Rossauer Lände erfolgte auf Grund seiner Initiative. Viele Neuerungen in der Kriminaltechnik (wie etwa Daktyloskopie, Photographie, Einsatz von Polizeihunden) wurden von ihm mit Engagement vorangetrieben. Ein besonderes Anliegen war Stukart die Pflege internationaler polizeilicher Zusammenarbeit, die (Anm. d. Red: 4 Jahre nach seinem Tod) 1923 zur Gründung der Interpol in Wien führte.
Zitat Ende
Schottenring 11 war von 1875 bis 1945 der Standort der Polizeidirektion. Hier amtierte Moriz Stukart 1882 bis 1904 vor dem von ihm initiierten Umzug in das neu errichtete Sicherheitsbüro an der Rossauer Lände.
Zitat Wien Geschichte Wiki,
Ab 1793 war die Polizei-Oberdirektion im Haus Conskriptionsnummer 458 (1, Seitzergasse 4) untergebracht; 1823 übersiedelte die Polizei-Oberdirektion ins Haus Spenglergasse 564 (1, Petersplatz 7, Tuchlauben 4), in dem zuvor (ab 1801) die Registratur des Hofkriegsrats untergebracht gewesen war. (…) 1902-1904 erfolgte der Bau des Polizeigebäudes an der Roßauer Lände, außerdem wurde am 1. November 1902 eine eigene Schulabteilung eingerichtet, mit der Abrichtung von Polizeidiensthunden begonnen, 1904 die Lenkerprüfung eingeführt und 1908 (durch Ferdinand Freiherr Gorup von Besanez) das Ausbildungsstandardwerk „Die Organisation und Instruktion der Wiener k. k. Sicherheitswache“ herausgegeben; 1923 erfolgte (über österreichische Initiative) die Begründung der „Interpol“.
Zitat Ende
Heute befindet sich die Wiener Polizeidirektion am Schottenring 7–9 im 1. Wiener Gemeindebezirk, Innere Stadt, auf dem Areal des durch Brand zerstörten Ringtheaters und des später an eben dieser Stelle erbauten Sühnhauses (im II. Weltkrieg zerbombt).
„Sein Name wird in der Erinnerung der Wiener Polizeidirektion fortleben“
Transkript
Hofrat Stukart gestorben.
Sonntag nachmittags ist in seiner Wohnung, in Neubau, Neustiftgasse 36, der vormalige langjährige Chef des Sicherheitsbüros und spätere Vorstand der II. Kriminalsektion der Polizeidirektion, Hofrat Moritz Stukart infolge Herzschlages im Alter von 63 Jahren plötzlich gestorben.
Hofrat Stukart war schon seit mehreren Jahren an Arterienverkalkung erkrankt und ist unausgesetzt in ärztlicher Behandlung gestanden. Seit mehr als zwei Jahren war Hofrat Stukart in Pension, aber sein Name wird in der Geschichte der Wiener Polizeidirektion fortleben als der eines ihrer tüchtigsten und erfolgreichsten Beamten, eines Beamten, der Popularität genoss, wie kaum ein Kriminalist zuvor. Sein Glück war sprichwörtlich, sein Geschick und seine Art beispielgebend. Er war fleißig wie der jüngste seiner Beamten, unermüdlich und zielbewusst.
Bezeichnend für seine Erfolge sei erwähnt, daß in der Zeit seiner Amtsführung die Zahl der Raubmorde auffallend abnahm, daß bei allen 60 in die Zeit seiner Dienstzeit als Chef des Sicherheitsbureaus fallenden Raubmorde nur bei zwei Fällen die Täter unentdeckt geblieben sind. Um aber seine übrigen Erfolge in der Ermittlung von Notenfälschern, Bankdieben, Hochstaplern größten Stiles zu beurteilen, müßte man die ganze Kriminalgeschichte der Jahre 1900 bis1916 abschreiben. Stukart ließ sich fast nie an einem Indizienbeweis genügen; als seinen vollsten Erfolg erklärte er immer ein umfassendes Geständnis, und das zu erreichen, war er Menschenkenner genug. Er konnte alle Töne anschlagen und erreichte fast immer, was er wollte. Auch schon im Krieg hat sich Stukart bei der Aufdeckung vieler Fälle von Militärbefreiungsschwindel betätigt.
Im Leben ein Gesellschaftsmensch, sah man ihn in den vornehmsten Salons. Ein begeisterter Naturfreund, hat er weite Wanderungen und schwierige Touren in den Alpen unternommen. An der Bahre trauern außer der Witwe ein Sohn und eine Tochter.
Transkript Ende
Das Leichenbegängnis fand am 19.11.1919 von der israelitischen Abteilung des Zentralfriedhofes statt.
Das Grab von Moriz Stukart befindet sich am Zentralfriedhof IV. Tor, Gruppe 4, Reihe 2, Grab 5.

Wie wir gesehen haben, müsste man die Kriminalgeschichte bereits ab 1882 abschreiben, denn schon vor dem Fall Schenk war Moriz Stukart in einem großangelegten Fall von Bankbetrug erfolgreich gewesen. Was am Leben dieses hochbegabten Mannes auffällt, ist seine allgemeine Beliebtheit, die wohl nur von der Unterwelt und den Antisemiten nicht geteilt wurde; die Wiener Bevölkerung schätzte seine moralischen Qualitäten ebenso sehr wie seine fachlichen Leistungen. Typisch ist der Jubel der sonst durchaus skandalfreudigen Presse darüber, dass er aus der schmutzigen Affäre Veith mit unangetasteter Ehre hervorging. Es lohnt sich, die Erinnerung an diesen „Kult-Kieberer“, mit dem es an Beliebtheit später nur noch der legendäre Joschi Holaubek aufnehmen konnte, noch einmal wachzurufen.
Quellen
- 1884-02-02 „Figaro“ S 7“ ANNO
- 1884-05-04 „Morgen-Post“ Titelblatt ANNO
- 1884-03-13 „Morgenpost“ Titelblatt ANNO
- 1908-10-20 Illustrierte Kronen-Zeitung Titel und Bericht (Auszug), ANNO
- 1919-11-17 Illustrierte Kronen-Zeitung S 4 ANNO
- Österreichisches Biographisches Lexikon
- L.: Jüd. Korrespondenz, 16. 3. 1916; NFP, RP, 22. 7. 1917; NFP, 17., 18. (Parte), Wr. Bilder, 23. 11. 1919 (m. B.); AZ, 15. 11. 1953; Wer ist’s?, 1908; Dt.-Soziale Bll. 14, 1899, S. 23; Mitt. der Internationalen Kriminalist. Vereinigung 14, 1907, S. XXXII; F. v. Görtz – C. Zellner, Illustrierte Geschichte der österr. und ung. Ordensausz. und deren Besitzer, 1908, S. 225 (m. B.); F. Brandl, Kaiser, Politiker und Menschen, 1936, S. 161f.; UA, Wien. (H. Gebhardt) PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 62, 2010), S. 447
https://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/Stukart_Moriz_1856_1919.xml, abgerufen am 2022-04-19 - „GENI.com“ genealogische Website mit persönlichen Daten der Familien Stukart
https://www.geni.com/people/Moriz-Stukart/6000000015030694674
abgerufen am 2022-04-19 - Magazin der Landespolizeidirektion Wien: Nr. April/Juni 2020, Herausgeber: Landespolizeidirektion Wien, 1010 Wien, Schottenring 7-9, Serie: Berühmte Kriminalisten, abgerufen am 2022-04-19.
http://www.serienkillers.de/histor-serienm%C3%B6rder/l-z/schenk-hugo/
http://www.zeno.org/Kulturgeschichte/M/Friedländer,+Hugo/Interessante+Kriminalprozesse - Partezettel von Moriz Stukart
- Polizeidirektion: Zitat Wien Geschichte Wiki
- Wiener Kriminalchronik, ISBN 3-7046-0421-6, Max Edelbacher und Harald Seyrl, Editions S
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(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828
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Ein Kommentar zu „Kult-Kieberer Moriz Stukart“