Der Mann, der Hugo Schenk zur Strecke brachte

Diesmal geht es in „History & Crime“ um Polizeirat Karl Breitenfeld, dem es 1884 durch eine kriminalistische Meisterleistung gelang, dem „Dienstmädchenmörder“ Hugo Schenk auf die Spur zu kommen und diesen auf dem Gebiet des damaligen Rudolfsheim (heute Penzing) – in der Sturzgasse 1 – zu verhaften.

Barbara Büchner recherchiert unermüdlich in Archiven, durchforstet dutzende Zeitungsartikel und trägt für Sie die spektakulärsten Fälle zusammen, die sich auf dem Gebiet des heutigen 15. Bezirks zugetragen haben oder von Personen handeln, die im heutigen Rudolfsheim-Fünfhaus wohnhaft oder beruflich (oder sonst wie) tätig waren.

History & Crime

„Kult-Kommissar“ Karl Breitenfeld: Der tüchtigste Polizeibeamte der Gegenwart in Europa

Bildquelle: Das Interessante Blatt, 24. Januar 1884, ANNO 

Er war ein “Kult-Kommissar” seiner Zeit: Polizeirat Karl Breitenfeld war schon zu Lebzeiten eine Legende. Beliebt, bewundert, gefürchtet, teilweise auch umstritten, galt der Leiter des Sicherheitsbüros als einer der erfolgreichsten Kriminalisten der österreichisch-ungarischen Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Er hatte 44 spektakuläre Kapitalverbrechen aufgeklärt und die Täter*innen gefasst, darunter Gustav Graf Chorinsky, der 1867 seine Geliebte Julie Ebergenyi von Tekeles dazu bewogen hatte, seine Frau zu vergiften, sowie Enrico Edler  von Francesconi, der 1876 in Raubabsicht einen Geldbriefträger ermordet hatte. 

In die Kriminalgeschichte eingehen wird er freilich als “der Mann, der Hugo Schenk zur Strecke brachte”. 

1884-01-17 Das interessante Blatt, ANNO

Eines der berühmtesten Bilder der Wiener Kriminalgeschichte: Die Beamten des Polizeirats Breitenfeld verhaften Hugo Schenk in einer Wohnung in Rudolfsheim, Sturzgasse 1 (heute 14. Bezirk Penzing): „Er sprang in seinem Bette auf, doch schon standen die Detektive mit Blendlaternen vor demselben und bemächtigten sich Schenks. Bei dem schwachen Lichtscheine, den die Laternen verbreiteten, nahm sich das fahle Gesicht Schenks, der an allen Gliedern zitterte und keines Wortes mächtig war, doppelt schrecklich aus.“ (Morgen-Post vom 11. Januar 1884). 

Die Wohnungen des Hugo Schenk auf dem Gebiet des damaligen Rudolfsheim, Sechshaus und Fünfhaus

1884-01-11 Morgen-Post, ANNO
Die Wohnorte des Hugo Schenk: Sperrgasse 5 (Bruder Karl), Goldschlagstraße 19 (Absteige), Sturzgasse 1 (Freund Karl Schlossarek), Plan 1888
Das Interessante Blatt, 24. Januar 1884, ANNO

Die Presse konnte den Mann, dem dieses Meisterstück kriminalistischer Arbeit gelungen war, nicht genug loben: 

Transkript

Durch eine der scharfsinnigsten polizeilichen Kombinationen, welcher in den Annalen der Polizeigeschichte ein hervorragender Rang sicher ist, gelang es, die Spuren Schenks  zu entdecken, und der Leiter der polizeilichen Aktion, Polizeirat Breitenfeld, hat sich diesmal wieder als das bewährt, wofür man ihn mit Recht allgemein hält, als einen der  tüchtigsten Polizeibeamten der Gegenwart in Europa. Es  war kein Werk des Zufalls, der Schenk der Behörde in die Hände spielte, sondern die Frucht wohlüberlegter, ausgezeichneter Arbeit.  

Transkript Ende 

Den Tätern auf der Spur

„Der Breitenfeld wird´s schon herauskriegen!“ hieß es damals in Wien, wenn ein besonders kniffeliger Fall die Behörden beschäftigte, und der Breitenfeld kriegte es heraus. 

Wir müssen bedenken, dass der Polizei damals längst nicht dieselben Mittel zur Verfügung standen wie heute. Gemeinsamkeiten zwischen mehreren, zeitlich und räumlich voneinander entfernten Fällen filtert heute der Computer mit einem Mausklick heraus. Damals brauchte es wirklich einen genialen Kopf, um aus dem Wust täglich einlaufender “Zirkulare” (amtlicher Rundschreiben) herauszufinden, dass bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen dem Verschwinden dreier Frauen bestanden. 

Wie die Zeitschrift „Die Kriminalisten“ berichtet, war dem Finanzbeamten Otto Freiherr von Buschmann 1883 seine hoch geschätzte Köchin Therese Ketterl abhanden gekommen: Sie hatte während seines Urlaubs einfach mit Sack und Pack die Wohnung verlassen.

Vier Monate später, am 20. Dezember 1883, zeigten besorgte Angehörige im Kommissariat Rossau in Wien an, dass die 47-jährige Köchin Katharina Timal und ihre 33-jährige Nichte Josefine Timal seit dem Sommer verschwunden seien und dass man ein Verbrechen vermute, weil die beiden aus Böhmen stammenden Frauen als verlässlich galten. 

Das interessante Blatt, 17, Januar 1884, ANNO

Diese beiden Anzeigen lagen vier Monate auseinander und stammten aus verschiedenen Bezirken,  Polizeirat Breitenfeld jedoch fiel auf, dass die drei verschwundenen Dienstbotinnen einiges an Gemeinsamkeiten hatten: Sie waren alle ledig, nicht mehr ganz jung und hatten gut gefüllte Sparstrümpfe.

Die Ketterl wurde zuletzt in Begleitung eines Herrn gesehen, dessen Namen man allerdings nicht kannte, man wusste nur, dass er eine stattliche Erscheinung war, blond, bärtig und elegant gekleidet.

Die beiden Timals wiederum hatten die Bekanntschaft eines Herrn gepflegt, auf den dieser noch namenlose Steckbrief passte und der seinen Namen mit Hugo Schenk angegeben hatte. Und einen solchen Hugo Schenk hatte die Polizei in ihrem Verbrecheralbum, freilich noch nicht als Serienmörder, sondern als Hochstapler.  

Die Erhebungen wurden nun (O-Ton „Das interessante Blatt) “rastlos und mit peinlichster Gewissenhaftigkeit gepflogen“, und bald ahnte der erfahrene Polizeirat, dass die Frauen tot waren und aus dem kleinen Gauner Hugo Schenk der Serienmörder Hugo Schenk geworden war. 

„Es schien ihm die Idee nicht ausgeschlossen, dass sowohl im Falle Ketterl als auch im Falle Timal ein und dieselbe Person in verbrecherischer Weise beteiligt gewesen sei.“ Die Vermutung lag nahe, dass Schenk diese Person war, aber wo sollte man ihn finden? 

Monatelange detektivische Kleinarbeit war notwendig, ehe es gelang, den Mörder zu fassen, denn die Polizisten hatten es in Hugo Schenk mit einem raffinierten Gegner zu tun: Dieser wechselte häufig seinen Namen, gab verschiedene Berufe an, wohnte an den unterschiedlichsten Adressen in Wien, Salzburg, Linz, Böhmen und Mähren, war in der halben Monarchie unterwegs, um seinen „Geschäften“ nachzugehen.

Weltgewandt und nie um eine Lüge verlegen, hatte er sich aus den verschiedensten kniffligen Situationen herausgewunden (seine Geliebten Emilie Höchsmann und Josefa Eder beispielsweise hielten sich beide für seine rechtmäßigen Gattinnen, obwohl er legitim mit Wanda Schenk verheiratet war). 

Seine Wiener Wohnung in der Goldschlagstraße 19 ausfindig zu machen, wo er unter seinem echten Namen gemeldet war, war nicht allzu schwierig. Das Meldewesen funktionierte damals bereits sehr gut: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die melderechtliche Erfassung der Bevölkerung bereits weit fortgeschritten und das Meldenetz sehr engmaschig geknüpft. (Quelle: Wien Geschichte Wiki, Meldewesen).  

Allerdings war er dort nie anzutreffen, die Wohnung diente nur als “Briefkasten” für die Antworten auf seine Annoncen. Dafür fand man die Wohnung seines Bruders Karl Schenk in der Sturzgasse 1 und die seines alten Häfenkumpels Karl Schlossarek (der an den Frauenmorden beteiligt war) in der Sperrgasse 5

Die Hausdurchsuchungen lieferten Beweise: Schmuck und andere Gegenstände aus dem Besitz der verschwundenen Frauen wurden gefunden. Nur Schenk selbst fehlte noch. Man beobachtete nun sehr sorgfältig die drei Wiener Wohnungen. 

Im Schlaf überrascht

In der Sturzgasse 1 gelang es dann auch, ihn zu verhaften – eine heikle Angelegenheit, denn Schenk war nicht nur schlüpfrig, sondern auch zu mörderischer Gegenwehr bereit. Man überraschte ihn nach stundenlanger Observierung um 5 Uhr morgens im Schlaf. 

 Das interessante Blatt 17. Januar 1884 berichtet: 

1884-01-17 Das interessante Blatt, ANNO



Transkript 

Das Verschwinden des Dienstmädchens Ketterl gab der Wiener Polizei die erste Veranlassung zum Einschreiten. Im vorigen Jahre war die Ketterl plötzlich verschwunden, und es lag die Vermutung nahe, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen, obwohl der Leichnam nicht gefunden wurde. Unausgesetzte Erhebungen, welche mit der größten Umsicht und Diskretion geführt wurden, wiesen auf die Spur Schenks, der sich eben wieder mit einem neuen Opfer in Linz aufhielt. Polizeirat Breitenfeld verfügte sich nunmehr, nachdem die Erhebungen unwiderlegliche Beweise zu Tage gefördert hatten, persönlich nach Linz, um die Verhaftung vorzunehmen — allein Schenk war schon mit seinem Opfer nach Wien abgereist, wo offenbar die Abschlachtung der (Josefa) Eder — so hieß das zuletzt in Aussicht genommene Opfer — hätte vorgenommen werden sollen. Im telegrafischen Wege wurde die Verhaftung Schenks vom Polizeirat verfügt und in der Nacht in der Wohnung Schlossareks auch vollzogen. Polizei-Agenten umstellten das Haus und warteten, da sie Widerstand fürchteten, ruhig, bis Schenk sich vermutlich zu Bette begeben. Über eine Stunde harrten die Polizeiagenten vor dem Hause Schlossareks und traten erst ein, nachdem Schenk, wie sie es erwartet halten, sich zu Bette gelegt hatte. Im Bette wurde die Verhaftung vorgenommen und alsbald wurde der Verbrecher gefesselt an das Polizeibüro überstellt.  

Transkript Ende 

Morgen-Post vom 13.3.1884, ANNO

Nun hatte Polizeirat Breitenfeld zwar den Mann gefasst, den er suchte, aber Schenk leugnete kaltblütig, frech und raffiniert. Wie sollte man einen solchen “Steher” (Polizeijargon für einen konsequent schweigenden oder leugnenden Verbrecher) überführen? 

Raffinierte Verhörtaktik

Geben wir das Wort weiter an den Autor Karl Döblinger (*), dessen vielgelesener Fortsetzungsroman “Der Blaubart von Wien” im Sommer 1934 in der „Illustrierten Kronenzeitung“ erschien. Auf höchst spannende und dabei den Tatsachen getreue Weise schildert er die Überwindung des Serienmörders durch die raffinierte Verhörtaktik des Polizeirats Karl Breitenfeld.   

1934-04-26 Illustrirte Kronen-Zeitung, ANNO

(*) Karl Mautner, Pseudonym: Karl Döblinger, geb. 15.7.1907 in Wien, gest. 10.1.1990 in Bogotá (Kolumbien); Exil 1938 (Kolumbien), Quelle

Der Blaubart von Wien. Originalroman von Karl Döblinger.  

Um die Mittagsstunde hatte er sich Schenk unter sicherer Bedeckung aus dem Gefangenenhaus in der Theobaldgasse überstellen lassen und hatte begonnen, ihm auf den Zahn zu fühlen. Die dienstfreien Detektive und einige Beamte aus dem Sicherheitsbüro hatten sich in dem Verhörzimmer eingefunden, um bei diesem Meisterstück ihres Chefs Zuhörer und Zeugen zu sein. Wie ein Schauspiel, vielleicht noch spannender und aufregender, rollte sich das Verhör ab. Anfänglich war Schenk ganz Würde und Ablehnung. Er schien empört, dass man es gewagt hatte, ihn, den angesehenen Mann, zu verhaften und er drohte mit Beschwerden bei den „ihm wohlbekannten“ einflussreichen Stellen. Polizeirat Breitenfeld war nicht sonderlich geängstigt, diese Walze war er gewohnt und er ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Wie das denn mit den beiden Vorstrafen sei?- Einen Augenblick stutzte Schenk, dann fand er aber seine Fassung wieder und berief sich in beleidigtem Ton auf die Bestimmungen des Gesetzes, nach denen man niemandem eine verbüßte Strafe vorhalten dürfe. Er habe gefehlt, er habe gebüßt, damit seien diese Fehler getilgt und erledigt und niemand könne ihm daraus einen Strick drehen. So ging der Kampf eine Zeitlang weiter. Schenk gab sein würdevolles Gehaben schließlich auf, aber er wurde zynisch. Auf alle Fragen antwortete er mit Bemerkungen, dass doch die Polizei dies sicher alles längst wisse, dass ihr doch nichts verborgen bleiben könne und man doch auf seine Mitwirkung bei den Erhebungen keinen Wert legen werde. Da erschien (der Detektiv, Anm.d .R.) Zorn. Mit einem Blick verständigten sich der Chef und der Detektiv, dann erklärte Breitenfeld, dass er das Verhör auf einige Zeit unterbreche. Mit wenigen Worten informierte Zorn seinen Chef von dem Ergebnis seiner Erhebungen. Als Polizeirat Breitenfeld nach einiger Zeit wieder erschien, um das Verhör fortzusetzen, war er ganz sicher. Die Ruhe des Polizeichefs, hinter der Schenk unbedingt die vollgültige Beweiskraft irgendwelchen neuen Materials wittern musste, brachte ihn keineswegs aus der Fassung. Er setzte dem verstockten Spott des Beamten, der immer wieder durch die ausgesuchte Höflichkeit wetterleuchtete, äußerliche Gleichgültigkeit entgegen. Das Verhör kam nicht von der Stelle und mehr als einmal war Breitenfeld versucht, den Mann den aufgebrachten Detektiven zur weiteren Amtshandlung zu überlassen. Dieser Mensch war steinhart und dabei aalglatt! Nirgends gab es eine Stelle, an der er verwundbar gewesen wäre, an der man einhaken konnte. Er war jedes Gefühls bar, er hing nicht an seinen Eltern, nicht an seiner Frau, er hatte keinerlei Ehre, alles Menschliche war ihm fremd. Nur nicht wieder nervös werden! Polizeirat Breitenfeld nahm sich mit eiserner Energie zusammen. Er überfiel Schenk plötzlich, ohne jeden Zusammenhang, mit dem Ergebnis der Erhebungen, die Zorn unternommen hatte. „Was haben Sie in Mährisch-Weißkirchen gemacht?“ Schenk blickte den Polizeirat ruhig und ein bisschen spöttisch an: „In Mährisch-Weißkirchen? Ich erinnere mich nicht an diesen Ort. Wahrscheinlich habe ich dort Kohle verkaufen wollen. Aber ich glaube kaum, dass ich dort gute Geschäfte gemacht habe, sonst würde ich mich an diesen Ort erinnern.“ 

Transkript Ende 

Schenk hatte allerdings guten Grund, sich an den Ort zu erinnern. Dort hatte man nämlich die Leiche der Josefine Timal aus einem Tümpel gezogen. Im Juni 1883 hatte Schenk durch ein Zeitungsinserat die Frau kennengelernt. Sofort versprach er ihr die Ehe und ging mit ihr auf „Hochzeitsreise“. Die endete allerdings in einem Wald bei Mährisch-Weißkirchen (Hranice na Morave, Tschechien), wo er die Frau bewusstlos schlug und sie mit Steinen beschwert in einen Waldteich warf.  Die Leiche wurde sechs Wochen später, am 17. Juli 1883, gefunden, was der Mörder zweifellos wusste. 

Breitenfeld hatte viele Indizien, aber eines fehlte ihm immer noch: ein Geständnis. Was immer er Schenk vorhielt, dieser wand sich entweder heraus oder sorgte mit einer Flut einander widersprechender Lügen immerhin für Verwirrung. Musste der Polizeirat wirklich befürchten, dass es auf einen Indizienprozess mit allen seinen Risiken herauskommen würde? Aber noch hatte er einen Trumpf im Ärmel! 

In Linz hatte Hugo Schenk das Herz eines Mädchens namens Emilie Höchsmann gewonnen. Diese junge Frau – die sich, wie gleichzeitig Josefa Eder, für seine rechtmäßige Gattin hielt, – hätte eigentlich genau in sein “Beuteschema” gepasst. Nicht mehr jung, alleinstehend – aber, im Unterschied zu den anderen Opfern, bitterarm und so anständig, dass er sie nicht einmal (wie es ihm bei Josefa Eder gelungen war) zum Stehlen anstiften konnte. So seltsam es klingt: Hugo Schenk liebte sie wirklich, auf eine ganz uneigennützige, biedere und herzliche Weise. Warum, das zu verstehen würde wohl auch heutigen Kriminalpsycholog*innen schwerfallen. 

Und gerade sie wurde sein Verhängnis, denn bei ihr siegte der Anstand über Liebe und Leidenschaft. So sehr sie den Mann geliebt hatte – von dem entlarvten Verbrecher wandte sie sich entschieden ab. Plötzlich ging ihr auf, was es mit den vielen Schmuckstücken auf sich hatte, die er ihr geschenkt hatte! Kaum hatte sie in der Zeitung von der Verhaftung (vorerst nur wegen des Vorwurfs der Hochstapelei) gelesen, da fuhr sie auf der Stelle nach Wien und legte Polizeirat Breitenfeld den Schmuck vor, den ihr Geliebter ihr geschenkt hatte: Eine goldene Uhr samt Kette, ein Collier, eine goldene Halskette, zwei Paar Ohrgehänge, ein Armband mit Brillanten und Rauten besetzt, fünf große Perlen von seltener Schönheit, drei ungefasste Diamanten und einen Smaragd. Mehrere dieser Schmuckstücke wurden eindeutig als Eigentum der ermordeten Therese Ketterl identifiziert! 

Emilie Höchsmann soll – laut dem Mährischen Tagblatt vom 3.4.1884 – einem „gesunden Knäblein das Leben geschenkt haben“, dessen Vater Hugo Schenk war

Breitenfeld wusste, dass es nichts gebracht hätte, Schenk die Schmuckstücke vorzulegen; er hätte sich nur wiederum herausgeredet. Stattdessen griff der Polizeirat zu einer List, die er auch später wiederholt anwandte und für die er teilweise auch kritisiert wurde. Er setzte mit psychologischer Raffinesse bei der einzigen Schwachstelle an, die er bei dem gefühllosen Mörder entdecken konnte: dessen Liebe zu Emilie Höchsmann.  

Das interessante Blatt 24. Januar 1885 

Transkript 

Emilie Höchsmann scheint von Hugo Schenk wirklich geliebt worden zu sein, und gewiss ist es, dass das Mädchen für den Mörder eine leidenschaftliche Zuneigung fasste; sie kannte ihn nicht und konnte nicht ahnen, dass das Verbrechen in der Gestalt ihres Geliebten personifiziert sei; sie vertraute ihm, und ihr Vertrauen war ihre Schuld – ihre Liebe ihr Verbrechen. Die Arme, sie büßt fürchterlich für diese Schuld, indem sie als Geliebte eines Mörders erscheint, welchem ein hervorragender Platz in der Reihe der entsetzlichsten Verbrecher sicher ist. 

Transkript Ende 

Lassen wir den Roman-Autor Döblinger weitererzählen: 

“Der Blaubart von Wien”, Fortsetzung Transkript 

So kam man nicht weiter. Polizeirat Breitenfeld war empört über diese Verstocktheit. Er stellte einige neue Fragen, aber nur obenhin, um das Verhör nicht wieder zu unterbrechen. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders und suchte nach irgend einem Mittel, um auch diesem Gesellen beizukommen. War der wirklich ganz gefühllos?  Plötzlich straffte sich das Gesicht des Beamten. Er hatte einen Plan gefasst, der ihm als letzter, aber aussichtsreicher Ausweg erschien, diesen hartgesottenen Sünder zu erweichen. Und bei einer passenden Stelle, als Schenk auf irgendeine belanglose Frage nicht antwortete, weil er angeblich über diesen Gegenstand nichts wusste, warf Polizeirat Breitenfeld ganz beiläufig hin: „Macht nichts. Sie müssen ja nicht antworten. Wir werden eben Ihre Geliebte und Mitschuldige danach fragen!“ Eine geradezu unglaubliche Veränderung ging nach diesen Worten mit Schenk vor. Der sonst so ruhige Mensch begann an allen Gliedern zu zittern, er sprang, mit blutunterlaufenen Augen auf und bat, als ihn die Kriminalbeamten daran hinderten, sich auf den Polizeirat zu stürzen, mit kaum hörbarer Stimme: „Was wollen Sie denn von der Emilie? Die weiß doch von gar nichts, die dürfen Sie nicht auch noch hineinziehen.“ Polizeirat Breitenfeld machte sein abweisendstes Gesicht und vollführte eine Handbewegung, die sein Unvermögen anzeigen sollte, hier irgendwie Rücksicht zu nehmen. Schenk sah ihn mit angstvoll bittenden Augen an: „Nein, nein, Herr Polizeirat, die Emilie dürfen Sie nicht sitzen lassen, (ins Gefängnis stecken, Anm.d.Red.) die ist ganz unschuldig, die hat von nichts eine Ahnung! Das Mädel ist ja ganz unschuldig, ganz unschuldig…“ Polizeirat Breitenfeld blieb unbewegt. Jetzt hatte er ihn doch erwischt: So war es recht, jetzt war er bald geständnisreif. 

Transkript Ende 

Hugo Schenk gesteht

Der Serienmörder, der erst zu leugnen suchte, wurde „durch die Wucht der Beweismittel, die Polizeirat Breitenfeld ins Feld zu führen vermochte, erdrückt“, wie das Neue Wiener Tagblatt triumphierend berichtet, und „legte nieder“. (Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe) 11. Januar 1884). Er gestand weitaus mehr als die drei Frauenmorde, zu denen Breitenfeld ihn befragt hatte. Fassungslos standen Behörden und Publikum vor der Unzahl von Verbrechen, die da ans Licht kamen. 

Obwohl Schenk vor allem als “Dienstmädchenmörder” in die Kriminalgeschichte einging, gehen zu seinen Lasten auch verschiedene Raubüberfälle, Einbruchsdiebstähle, Hochstapelei, Heiratsschwindel und Betrügereien. Tatsächlich dürfen wir annehmen, dass Schenk sogar noch weitaus mehr Frauen auf dem Gewissen hatte, als er eingestand und man ihm nachweisen konnte.

Zitat aus „Die Kriminalisten“: So meldete sich beispielsweise, nachdem die Zeitungen von der Verhaftung Schenks und seiner Komplizen berichteten, ein Wiener Apotheker bei den Ermittlern. Im Juli 1883 begegnete der Apotheker bei einem Spaziergang in Weidlingau einem Mann, der ihm zurief, dass im Wald eine sterbende Frau liege und er einen Arzt holen werde. Der Apotheker fand ein bewusstloses Mädchen, das bald zu sich kam und sich erholte. Die junge Frau erzählte, dass sie von einem freundlichen Mann angesprochen worden sei. Sie habe sich mit ihm auf einer Bank unterhalten. Er habe gesagt, er wolle für sie Blumen pflücken, habe sich aber dann ihr von hinten genähert und ein weißes, stark riechendes Tuch über Mund und Nase gedrückt. Danach wisse sie nichts mehr. Ihr fehlten ihre Ringe, die Geldbörse und andere Wertgegenstände. Der Unbekannte ließ ein Buch („La Fontaines Fabeln“) zurück, in dem der Name „Hugo Schenk“ eingetragen war. Der Apotheker sagte zur Überfallenen, sie solle am nächsten Tag zu ihm in die Apotheke kommen, er würde sie als Zeuge zur Polizei begleiten. Das Mädchen erschien aber nicht und die Anzeige unterblieb. (…) Im Gerichtsverfahren wurde überdies bekannt, dass Hugo Schenk einmal die Absicht geäußert hatte, ein Opfer an einen Baum zu binden, es mit Petroleum zu übergießen und anzuzünden. Ob es jemals dazu kam, ist unbekannt.   

Auch ein ungeklärter Raubmord an einer Frau im Payerbach-Graben in Niederösterreich könnte auf seine Rechnung gehen. Jedenfalls hatte er noch einiges an Untaten vor, denn in der Wohnung seines Bruders fand man einen Koffer mit Gift, einem Dolch, pornografische Bildern und sechshundert Liebesbriefen einsamer Frauen! Alles potenzielle Opfer… 

Bald vermutete das aufgeregte Publikum hinter jedem Verschwinden einer Frau die schwarze Hand des Hugo Schenk, sodass die satirische Zeitschrift “Figaro” sich schließlich darüber lustig machte: 



Transkript Figaro, 2. Februar 1884 

Kommissar Stukart: Unter den heutigen Einläufen sind wiederum nicht weniger als siebzehn Anzeigen aus allen Gegenden der Welt über spurlos verschwundene Frauenspersonen! 

Rat Breitenfeld: Das kann den Schenk noch vorm Galgen retten! 

Kommissar Stukart: Wieso? 

Rat Breitenfeld: Weil es dieser Mensch ja gar nicht erleben kann, bis wir mit so vielen Erhebungen fertig werden! 

Transkript Ende 

Das Urteil ist vollstreckt!

So schlimm wurde es allerdings nicht. Was immer Schenk und Schlossarek sonst noch verbrochen haben mochten, vier Frauenmorde reichten bereits für die Todesurteile. Schenks Bruder Karl entging dem Galgen, weil er geistig behindert und obendrein todkrank war. 

Hugo Schenk und Karl Schlossarek jedoch wurden am 22. April 1884 im Wiener Landesgericht vom Scharfrichter Heinrich Willenbacher und seinen Gehilfen mit dem Würgegalgen hingerichtet. Der Andrang in den kleinen Galgenhof war so immens, dass Eintrittskarten für die Exekution verkauft wurden! 

„an Breitenfeld ein Muster nehmen“

Karl Breitenfeld, Bildquelle: Familienbesitz, Mit freundlicher Genehmigung von Christian Schwaiger, Nachfahre von Polizeirat Breitenfeld
Auszug aus den Taufmatriken von Karl Breitenfeld, zur Verfügung gestellt von Christian Schwaiger, Nachfahre von Polizeirat Breitenfeld

„Karl Breitenfeld wurde am 21. Oktober 1829 in Groß-Ullersdorf in Mähren als Sohn eines Badearztes geboren. Er absolvierte das Gymnasium in Olmütz und kam im Revolutionsjahr1848 nach Wien, wo er Rechtswissenschaften studierte. Er sympathisierte mit den Aufständischen des März 1848.

1851 trat abs. jur. Breitenfeld als Konzeptsaspirant in die Wiener Polizei-Direktion ein und am 27. April 1852 wurde er als Staatsbeamter definitiv gestellt. Er versah Dienst als Konzeptsbeamter in den Polizeikommissariaten Simmering, Schottenfeld, Hietzing, Sechshaus und Mariahilf. 1859 wurde er Aktuar und 1864 Kommissär. Als erfolgreicher Kriminalist kam er 1863 in das Wiener Sicherheitsbüro.

Im preußisch-österreichischen Krieg 1866 wurde Karl Breitenfeld als Kriegskommissär bei der Nordarmee eingesetzt. Er geriet in den Verdacht, für Preußen zu spionieren und wurde deshalb in Sachsen festgenommen, einem verbündeten Land Österreichs. Das von Ministerpräsident Richard Graf Belcredi ausgestellte Vollmachtsdekret hielt man für gefälscht. Breitenfeld konnte seine Identität schließlich nachweisen und wurde freigelassen.

Karl Breitenfeld, inzwischen Regierungsrat, wurde Leiter der II. Sektion (Kriminalpolizei), der das Sicherheitsbüro unterstellt war. 1886 übernahm er die Leitung der I. Sektion als Nachfolger von Hofrat Rauscher. Am 1. Juli 1892 trat Breitenfeld als Hofrat in den Ruhestand. In seiner Dienstzeit gelang ihm die Ausforschung und Festnahme von 44 Mördern. „Durch seine scharfe Beobachtung und rasche Entschlossenheit hatte, oft unter schwierigen Verhältnissen, eine Reihe von Erfolgen, die allgemeines Aufsehen erregten. Er richtete seine Tätigkeit hauptsächlich auf die Ausforschung von Mördern und auf die Verfolgung gefährlicher Betrüger, Schwindler Hochstapler, Fälscher und Defraudanten“, stand in einem Nachruf.

Karl Breitenfeld wirkte auch humanitär. Er unterstützte die Gründung des Krankenhauses Wien- Sechshaus (Sechshauser Bezirksspital, Anm.), 1879 war ja Mitgründer der Unterstützungssozietät der Polizeibeamten und des Pensionsfonds, dessen Obmann er wurde. Er engagierte sich bei der Errichtung der Heilanstalt für Brustkranke „Alland“, deren Vizepräsident er war. Außerdem initiierte er die Gründung eines Ferienhorts für bedürftige Gymnasial- und Realschüler und förderte den Wiener Wärmestubenverein.

Hofrat i. R Karl Breitenfeld starb am 28. Jänner 1900 an den Folgen einer Lungen- und Rippenfellentzündung in seiner Wohnung in der Nibelungengasse 3 in Wien und wurde am 30. Jänner 1900 auf dem Wiener Zentralfriedhof beerdigt. Er hinterließ drei Kinder; sein ältester Sohn Dr. Gustav Breitenfeld war Hofsekretär im Obersthofmeisteramt.“


Werner Sabitzer in „Polizei- Das Magazin der Landesdirektion Wien, Jänner-März 2018“, S. 26-29, Auszüge

Parte Karl Breitenfeld, Bildquelle: Mit freundlicher Genehmigung Christian Schwaiger, Nachfahre von Polizeirat Breitenfeld
Grab Karl Breitenfeld am Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 15B, Reihe 2, Grab 6, Haupttor 2, Simmeringer Hauptstr. 234 ,
Bildquelle: Mit freundlicher Genehmigung Christian Schwaiger, Nachfahre von Polizeirat Breitenfeld

Was Das interessante Blatt“ vom 24. Januar 1884 damals über ihn schrieb, möge als Nachruf auf diesen großen Kriminalisten dienen: 

Transkript 

Der Name Breitenfeld ist den Wienern sehr wohl bekannt, und weit über die Marken unserer Stadt, weit über die Grenzen der Monarchie hinaus erstreckt sich der Ruf dieses Mannes. Breitenfeld ist einer der hervorragendsten Beamten der Wiener Polizeidirektion, und im Publikum ist der Name Breitenfeld mit Polizei fast identisch.  (…) Die Dienste, welche er der öffentlichen Sicherheit Wiens und der Monarchie im Laufe seiner Jahre geleistet, sind unschätzbar; aber noch bedeutungsvoller scheint sein Wirken dadurch, dass er es verstanden hat, vielen jüngeren Berufsgenossen förmlich Schule zu machen. Die Zahl der jüngeren Polizeibeamten, welche sich an Breitenfeld ein Muster nehmen, nimmt glücklicherweise stets zu. 

Transkript Ende 

Wir möchten uns sehr herzlich bei Herrn Christian Schwaiger aus Salzburg, einem Nachfahren von Karl Breitenfeld, für die Ergänzungen und das Bildmaterial bedanken. Herr Schwaiger hat unseren Blogartikel gelesen und sich danach per Mail an uns gewandt.

Kultkommissar Breitenfeld im Podcast

Und zum Schluss noch eine Folge unserer Vorort-Geschichte(n) aus Wien Rudolfsheim-Fünfhaus, die sich ebenfalls mit dem „Kultkommissar Breitenfeld“ beschäftigt.
Vorgetragen von Maurizio Giorgi.

Quellen

  • Das interessante Blatt 17. Januar 1884, ANNO
  • Das interessante Blatt vom 24. Januar 1884, ANNO
  • Morgen-Post vom 11. Januar 1884. ANNO
  • Neues Wiener Tagblatt / Tages-Ausgabe, 11. Januar 1884, ANNO 
  • Wien Geschichte WikiMeldewesen 
  • Polizeifiles 
  • Die Kriminalisten“: Mit der Fachzeitschrift „Kriminalpolizei“ und dem Online-Magazin „diekriminalisten.at“ haben Kriminalist*innen zwei Sprachrohre für ihre Anliegen. „diekriminalisten.at“ gibt es seit April 2002, die „Kriminalpolizei“ seit Anfang Oktober 2003. Sie wird sechsmal pro Jahr herausgegeben.  
meine meinung

Polizeirat Breitenfeld fand in seinem Mitarbeiter Moriz Stukart einen ebenso legendären Nachfolger, über den wir bei Gelegenheit noch ausführlich berichten werden. Beide fanden immerhin zu Lebzeiten die ihnen gebührende Anerkennung. Die Tragödie, wie fast immer in solchen Fällen, ist die Ungerechtigkeit der Nachwelt: Breitenfeld und Stukart sind heute nur noch Fachleuten ein Begriff, aber wer Hugo Schenk und Karl Schlossarek waren, weiß fast jede*r. Feige, grausige Verbrechen sind eben interessanter als harte Polizeiarbeit und detektivisches Genie. 

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Oder wie es Anton Ziegler 1828 (*) so schön ausgedrückt hat:

Jede Belehrung und Berichtigung, welche in Beziehung auf größere Vervollkommnung und Gemeinnutzmachung dieser Herausgabe beabsichtigt ist, wird mit dem ausgezeichnetsten Danke empfangen.

(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828

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3 Kommentare zu „Der Mann, der Hugo Schenk zur Strecke brachte

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