Ein mörderischer Lehrling: „Den Meister schlitz ich auf!“

Diesmal geht es in „History & Crime“ um die grausame Tat des 18jährigen Lehrlings Karl Ettenauer im Jahr 1914 an seinem Lehrherrn Karl Swerak. Ort des Geschehens: Diefenbachgasse 39.

Barbara Büchner recherchiert unermüdlich in Archiven, durchforstet dutzende Zeitungsartikel und trägt für Sie die spektakulärsten Fälle zusammen, die sich auf dem Gebiet des heutigen 15. Bezirks zugetragen haben oder von Personen handeln, die im heutigen Rudolfsheim-Fünfhaus wohnhaft oder beruflich (oder sonst wie) tätig waren.

History & Crime

Mordversuch eines Lehrlings

„Hoffentlich ist er schon hin; wenn er jetzt nicht hin ist, werde ich ihn mir schon bei anderer Gelegenheit holen.“

Der Täter Karl Ettenauer angesichts seines schwerverletzten Opfers. 

Großes Aufsehen erregte im Schicksalsjahr 1914 in Wien ein Mordversuch in der Diefenbachgasse 39. Alle großen Zeitungen berichteten über die Tat des 18jährigen Lehrlings Karl Ettenauer. Dessen Lebenslauf – Besserungsanstalt, sexuelle Angriffe auf Kinder, ständig wechselnde Lehrstellen, Diebstähle – hatte von Anfang an nichts Gutes erwarten lassen, doch einen brutalen Mordversuch hätte ihm nicht einmal das Opfer, Etuimacher-Meister Swerak, zugetraut: „Er hat es nicht aus Schlechtigkeit getan, sondern aus Dummheit.“ Das Gericht sah es vernünftigerweise anders. Einem Menschen ein scharfes Eisenstück tief in den Bauch zu rammen, kann man wohl kaum als Kinderstreich bezeichnen. Es verurteilte den Lehrling – dessen Opfer mit knapper Not überlebte – zu einer vierjährigen Kerkerstrafe. 

Die Neue Zeitung 20. Februar 1914 

Unter dem Titel 

berichtete das viel gelesene Blatt ausführlich über die Verhandlung. 

Transkript Die Neue Zeitung 20. Februar 1914 

Vor dem Schwurgericht hatte sich gestern der 18jährige Etuimacherlehrling Karl Ettenauer unter der Anklage des Verbrechens des versuchten Mordes, des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit, begangen durch gefährliche Drohung, und wegen Übertretung des Diebstahles zu verantworten. Den Vorsitz in der Verhandlung führte Oberlandesgerichtsrat v. Wurth, die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Bucek, als Verteidiger fungierte Dr. Paul Koretz. 

Der Täter 

Karl Ettenauer – von dem es in den zahlreichen Zeitungsberichten kein Bild gibt – wurde am 26. Februar 1895 in Dürnstein an der Donau als der uneheliche Sohn der Taglöhnerstochter Theresia Ettenauer geboren. Anscheinend starb die Mutter schon in seiner frühesten Jugend, denn mit fünf Jahren wurde der Junge in die Hyrtl’sche Waisenstiftung nach Mödling verlegt, wo er die Volks– und Bürgerschule vollendete.  

Hyrtl’sches Waisenhaus,
Foto: Wikimedia Commons/KarlGruber

Das Hyrtl’sche Waisenhaus war ein Waisenhaus in Mödling in Niederösterreich. Es wurde unter dem Mödlinger Bürgermeister Josef Schöffel in den Jahren 1886 bis 1889 vom Baumeister und Architekten Eugen Sehnal  (auch Architekt des Elisabethspitals) erbaut. Die Finanzierung war möglich, da der bekannte Anatom Josef Hyrtl sein Vermögen für den Bau stiftete. 

Eigentlich hatte Karl Ettenauer damit einen recht guten Start ins Leben, sein Bildungsstand entsprach dem allgemein üblichen, und ihm wurde ein Vormund beigegeben, der ihn betreute, ihm auch gleich eine Lehrstelle verschaffte.

Ettenauers weiterer Lebenslauf allerdings machte dem Vormund keine Freude wie die Neue Zeitung berichtet: 

Transkript Fortsetzung 

Hierauf kam er nach Aflenz zu einem Sattlermeister in die Lehre. Dort beging er ein Sittlichkeitsverbrechen an einem fünfjährigen Mädchen, ließ sich später auch Widersetzlichkeiten gegen seinen Meister zuschulden kommen und wurde daher im Jänner 1910 von seinem Meister nach Hause geschickt. Er wurde dann zu einem Sattlermeister nach Weißenkirchen in die Lehre gegeben, missbrauchte hier ein sechsjähriges Mädchen und wurde dann wegen der beiden Sittlichkeitsverbrechen vom Kreisgericht Krems zu drei Wochen Kerkers verurteilt.  

Transkript Ende 

Ein erstaunlich mildes Urteil, denn das damals geltende Strafgesetzbuch  sah weitaus mehr „Schmalz“ vor für einen Sexualstraftäter, der sich an 5- und 6jährigen Mädchen verging!

Im Wortlaut des Gesetzes: 

Strafgesetzbuch 1852 

§. 128. Schändung. Wer einen Knaben oder ein Mädchen unter vierzehn Jahren (…)  auf eine andere als die im §. 127 bezeichnete Weise geschlechtlich missbraucht, begeht, wenn diese Handlung nicht das im §. 129, lit. b, bezeichnete Verbrechen bildet, das Verbrechen der Schändung, und soll mit schwerem Kerker von einem bis zu fünf Jahren, bei sehr erschwerenden Umständen bis zu zehn, und wenn eine der im §. 126 erwähnten Folgen eintritt, bis zu zwanzig Jahren bestraft werden. 

Warum die außerordentliche Milde? Ein eigenes Jugendstrafrecht gab es damals noch nicht, Ettenauer war auch kein kleiner Bub mehr, sondern 15 Jahre alt und voll zurechnungsfähig. Die Gründe werden wir nicht mehr erfahren. 

Ein Bild, das Person, Text, Mann, Foto enthält.

Automatisch generierte Beschreibung
Bildquelle Alamy Stockfoto, Privatbesitz Barbara Büchner. 

Lustobjekt Kind: Karl Ettenauer wurde schon als Halbwüchsiger wegen Kindesmissbrauch an einem 5- und einem 6-jährigen Mädchen bestraft.

Transkript Fortsetzung 

Aus der Besserungsanstalt in die Lehre. 

Nach Verbüßung dieser Strafe wurde er zu einem Sattlermeister nach Eggenburg gebracht, doch wendete sich sein Meister schon nach zwei Monaten brieflich an seinen Vormund, dass er den Burschen nicht länger behalten könne, weil er sich dem Gesellen gegenüber geäußert habe, er werde seinem Meister einmal das Messer hineinstechen und ihm das Haus anzünden.“ Auf Wunsch des Vormunds wurde Ettenauer im Oktober 1910 der Besserungsanstalt Korneuburg übergeben. 

Transkript Ende 

Bild und Text Quelle meinbezirk.at 

1887 wurde in der Stockerauer Straße 80 die Zwangsarbeits- und Besserungsanstalt eröffnet. Die Anstalt war für kriminelle Erwachsene (Zwänglinge) und schwer erziehbare Jugendliche (Korrigenden) gedacht, wobei in beiden Fällen auch handwerkliche Ausbildungsmöglichkeiten vorgesehen waren. 

Transkript Fortsetzung 

Hier blieb er zwei Jahre, erhielt aber auch mehrere Hausstrafen. Am 27. Oktober I912 wurde er bedingt entlassen und kam zu Karl Swerak aus Wien, Diefenbachgasse 39 als Lehrling. (…) 

Das Tagebuch des Lehrlings. 

Ettenauer erzählte bei der Untersuchung, wie er (nach einigen kleineren Zwistigkeiten, Anm.d V.) von dem Gedanken erfasst wurde, dass er dieses „Scheusal“ umbringen müsse. Von nun an führte Ettenauer ein Tagebuch, in dem er die Tätigkeit seines Meisters genau vermerkte.  Dieses Buch kam am 17. Oktober dem Meister in die Hände und er behandelte von nun an den Ettenauer grob und unfreundlich. 

Transkript Ende 

Karl Swerak muss wohl ein herzensguter Mensch gewesen sein, wie seine Worte nach dem Attentat beweisen; er hatte sich Ettenauer gegenüber auch sehr väterlich verhalten, aber langsam wurde ihm der Lehrling, der auf Schritt und Tritt hinter ihm herschlich und alles, was er tat und sagte, in einem Notizbuch vermerkte, doch unheimlich.

Die Worte „Psychoterror“ oder „Stalking“ kannte man damals noch nicht, aber Meister Swerak muss sich wohl Gedanken gemacht haben, vor allem, da er sicher vom Vormund erfahren hatte, wie die früheren Meister den Ettenauer seiner Heimtücke und Gewalttätigkeit wegen einer nach dem anderen hinausgeworfen hatten.

Er wollte ihn auf gute Art loswerden – und wusste nicht, dass ihm nur noch sehr wenig Zeit blieb, unbeschadet davonzukommen, denn der Mordplan war bereits gefasst.

Hier der Bericht in der Neuen Zeitung: 

Transkript Fortsetzung 

Am Sonntag, I9. Oktober, trug Swerak dem Ettenauer auf, nach dem Mittagessen eine Arbeit fertig zu machen. Ettenauer hatte sich schon mittags vorgenommen, den Meister mit einem Hammer niederzuschlagen, wenn er ihn um 4 Uhr nicht freiließe. Als er gegen 3 Uhr mit der Arbeit fertig war, sah er, dass der Meister eben in dem Tagebuch las. Auf seine Frage, wen die Aufzeichnungen angehen, erwiderte Ettenauer, das werde er sich schon selber denken können. Daraufhin soll Swerak dem Ettenauer zwei Ohrfeigen gegeben und ihn dann gewürgt haben. Ettenauer lief auf die Straße, kam aber bald wieder zurück. Da Swerak inzwischen seinen Koffer durchsucht und darin verschiedene Kleinigkeiten gesunden hatte, die Ettenauer ihm gestohlen hatte, ließ er einen Wachmann holen, der den Ettenauer abführte. 

Ein schrecklicher Mordplan 

Die Nacht benutzte Ettenauer dazu, um seine geplante Tat reiflich zu überlegen. Er fasste die Absicht, in der Werkstätte seines Meisters ein sogenanntes Polleisen zu ergreifen, es dem Meister in den Bauch zu stoßen und es dann nach aufwärts zu reißen. 

Das Polleisen, Bolleisen oder Balleisen, eine Art Stangeneisen, welches zu Sangerhausen gemacht wird, und diesen Nahmen daher hat, weil es boll, d. i. spröde und ungeschmeidig ist. (Deutsches Wörterbuchnetz) 

Er wollte sich keineswegs begnügen, seinem Meister einen Denkzettel zu geben, sondern hat genau überlegt, dass gerade das Polleisen, ein scharfes, breites, schräg abgeschliffenes Instrument, das richtige Werkzeug sei, um seinem Meister damit eine tödliche Verletzung beizubringen. Gegen 7 Uhr morgens wurde Ettenauer nun tatsächlich durch den Sicherheitswachmann Schuh wieder zu seinem Meister geführt, um dort seinen Koffer einzupacken. Hiebei schimpfte Swerak über Ettenauer. Dieser erklärte plötzlich, er habe noch seinen Rock in der Werkstätte gelassen. Swerak wollte den Ettenauer nicht mehr in die Werkstätte lassen und als dieser hineindrängte, versetzte ihm Swerak einen Schlag ins Gesicht und drückte ihn auch dann an die Wand.  

Ein Bild, das Tätowierung, Gesicht, Mund, Augen enthält.

Automatisch generierte Beschreibung
Stichwunde im Bauch: eine solche Stichverletzung fügte der Lehrling Karl Ettenauer seinem Meister Swerak mit einem scharfgeschliffenen Eisenstück („Polleisen“) zu.  

Transkript Fortsetzung 

Hierauf eilte Ettenauer in die Werkstätte, Swerak kam ihm nach und versetzte ihm wieder einen Schlag ins Gesicht, so dass Ettenauer blutete.  

Die Bluttat.  

Daraufhin stürzte Ettenauer zu dem Werkzeugtisch. wurde aber gepackt, ehe er noch ein Werkzeug ergreifen konnte. Da Ettenauer aus der Nase blutete, ging er zu einer Stellage, wo ein Handtuch hing, um sich mit diesem das Blut abzuwischen. Dort stand auch ein Tisch, auf welchem ein Messer lag, das aber außer Ettenauer niemand bemerkt hatte. Während er sich nun mit dem Handtuch das Blut abwischte, drängte Swerak wieder gegen ihn vor, kam ganz in seine Nähe und diese Gelegenheit benützte nun Ettenauer, mit einem raschen Griff auf den Tisch das Messer zu erfassen und es dem Swerak in den Bauch zu stoßen. Die Tat geschah so schnell, dass der Sicherheitswachmann sie gar nicht sah. Ettenauer gab bei seiner Vernehmung auf dem Kommissariat unumwunden zu, dass er die Absicht gehabt habe, seinen Meister zu töten und fügte hinzu: „Hoffentlich ist er schon hin; wenn er jetzt nicht hin ist, werde ich ihn mir schon bei anderer Gelegenheit holen.“  

Transkript Ende 

Vor Gericht leugnete Karl Ettenauer – den mehrere frühere Lehrherren als „verlogen und gewalttätig“ schilderten – alles außer den kleinen Diebstählen, meinte, er habe nur „dummes Zeug“ geredet, mit seinen Drohungen sei es ihm nicht ernst gewesen. Die beiden Gerichtspsychiater kauften ihm diese Verteidigung sogar ab:

Wenn der Angeklagte sich immer und immer darauf berief, dass er den Mordplan an dem Meister reiflich erwogen habe, so müsse man hier an eine kindische Prahlerei, an einen gewissen Verbrecherehrgeiz glauben.” 

Auch sein Meister, der den tiefen Bauchstich nur knapp überlebt hatte, glaubte ihm. Er sagte dem Täter:

„Ich verzeihe dir, ich will nicht, dass du gestraft wirst, aber bessern musst du dich, denn du hast es nicht aus Schlechtigkeit, sondern aus Dummheit getan.“ 

So blauäugig war der erfahrene Vorsitzende nicht, denn immerhin war der „kindischen Prahlerei“ die brutale Tat auf dem Fuß gefolgt. Er hielt dem Lehrling, der jetzt halbherzige Reuekundgebungen hören ließ, vor, dass dieser sich selbst mehr als einmal schwer belastet hatte: 

„Dem Untersuchungsrichter haben Sie gesagt: „Ich habe beschlossen, nicht wieder eine ehrliche Arbeit zu machen, bevor ich den Meister nicht aus dem Leben geschafft habe, sei es nun mit dem Kruzifix, sei es mit den Zähnen.“ – „Sie haben auch bei der Polizei angegeben, dass Sie den Meister in Aufregung bringen und ihm dann mit einem Polleisen die Gedärme aufschlitzen wollten.“ – „Sie haben sogar gedroht, Sie werden den Meister vor Gericht umbringen, weshalb Ihnen heute zwei Justizsoldaten an die Seite gegeben wurden.“ 

Transkript Fortsetzung 

(…) Die Gerichtsärzte, die den Geisteszustand des Täters untersuchten, erklären, dass bei ihm eine Geistesstörung nicht bestand und auch nicht besteht. Der Beschuldigte hat nicht getrunken, er war jedoch schon von Jugend aus immer sehr empfindlich gegen Kränkungen. Es wohnte ihm ein großer Ehrgeiz inne, und diese Empfindung rief eine Selbstüberschätzung hervor, die zur Auflehnung gegen jedwede Autorität führte. (…) Trotz alldem kann behauptet werden, dass der Angeklagte bei Verübung der Tat nicht in Sinnesverwirrung gehandelt hat, dass er sich in großer Erregung befand, aber wusste, was er verübte. Der zweite Gerichtspsychiater Doktor Bischof schloss sich dem obigen Urteil vollinhaltlich an. 

(…) 

Das Urteil 

Auf Grund des Verdiktes der Geschwornen verurteilte der Gerichtshof den Angeklagten Karl Ettenauer zu vier Jahren schweren Kerkers, verschärft durch Absperrung in einsamer Zelle an jedem Jahrestag der Tat.  

Transkript Ende 

Quellen

meine meinung

Manche Täter, damals wie heute, schaffen es immer wieder, die Psychiater um den Finger zu wickeln. Nachdem Ettenauer die Tat wiederholt in den wüstesten Ausdrücken angedroht hatte, ja sogar vor Gericht von Soldaten bewacht werden musste, da er eine neuerliche Attacke angekündigt hatte, und sie dann so entschlossen ausgeführt hatte, dass sein Opfer nur knapp überlebte, redeten sie immer noch von „kindischer Prahlerei.“ Schade, dass man nicht erfährt, was nach den vier Jahren Kerker aus Karl Ettenauer wurde, aber sein Name taucht in den Zeitungsberichten nicht mehr auf.

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(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828

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