Der Raubmörder und der tapfere Wirt (1920)

Lesen Sie heute Teil 6 unserer neunteiligen Serie „History & Crime in Rudolfsheim (Fünfhaus) Anno dazumal“ von Barbara Büchner.

Barbara Büchner hat in Archiven recherchiert, dutzende Zeitungsartikel durchforstet und spektakuläre Fälle zusammengetragen, die sich auf dem Gebiet des heutigen 15. Bezirks zugetragen haben oder von Personen handeln, die im heutigen Rudolfsheim-Fünfhaus wohnhaft oder beruflich (oder sonst wie) tätig waren.

Verfolgen Sie mit uns den Raubmord an dem Zuckerbäcker Franz Wittmann und die Festhaltung des Täters durch den Gastwirt Alois Schremler.

Als Quelle dient u.a. die „Kronenzeitung“ vom 15. Juni 1920.

History & Crime
Handschellen

Der furchtlose Wirt

Ein furchtloser Gastwirt, Herr Alois Schremler, stellte sich mitten in der Nacht zum 13. Juni 1920 einem verdächtigen Menschen entgegen, der in der Preysinggasse 21 eben aus dem Fenster der ebenerdigen Wohnung des Zuckerbäckers Franz Wittmann sprang.

Erst war ihm der Bursche nur verdächtig, weil dieser nur Hemd und Hosen trug – doch da hörte er ein Röcheln und Stöhnen aus der Wohnung Wittmanns, und ein brutaler Raubmord wurde offenbar.

Kronenzeitung 1920-06-15
Illustrierte Kronenzeitung, 15. Juni 1920, Seite 4, Nr. 7442

Transkript (Barbara Büchner) aus der Illustrierte Kronenzeitung, 15. Juni 1920, Seite 4, Nr. 7442 (Auszug):

Der Raubmord in Rudolfsheim.

In seiner Wohnung in Rudolfsheim, Preysinggasse 21, wurde Samstag nachts, wie berichtet, der 30-jährige Zuckerbäcker Franz Wittmann in bestialischer Weise ermordet.

Der im selben Hause etablierte Gastwirt Alois Schremler wollte sich Samstag gegen halb 1 Uhr nachts zur Ruhe begeben. Er trat auf den Gang hinaus. Da hörte er ein Röcheln und Stöhnen, das aus der ebenerdig gelegenen Wohnung des Zuckerbäckers drang. Er wollte gerade auf die Türe zugehen, als diese sich öffnete. Wittmann, über und über mit Blut bedeckt, war im Nachtkleide sichtbar. Mit röchelnden, gurgelnden Tönen deutete er an, dass ihn einer, der im Zimmer sei, so zugerichtet habe.

Der Gastwirt rief rasch einige Hausleute herbei. Während sich diese um den Schwerverletzten bemühten, eilte der Wirt wieder in sein Lokal und von da auf die Straße. Da sah er einen Burschen, der bloß mit einer Hose und einem Hemd bekleidet, durch das offene Fenster auf die Straße sprang. In der einen Hand hielt der Bursche ein Bündel mit Kleidungsstücken, in der anderen ein Messer.

„Was suchen`S denn da?“, fragte der Wirt.

Ohne zu antworten rannte der Fremde in Richtung gegen die Goldschlagstraße davon.

Die Verhaftung.

Mit den Rufen: „Aufhalten! Aufhalten!“ lief ihm Herr Schremler nach. Auf der Flucht warf der Verfolgte das Bündel und das Messer weg. Zwei Passanten und ein Stadtschutzmann hatten sich inzwischen an der Verfolgung des Flüchtigen beteiligt. „Hände hoch!“, rief der Gastwirt, als sie dem Flüchtigen nahe waren.

Dieser sah ein, dass ein Entrinnen unmöglich sei. Er blieb stehen und ließ sich festnehmen. Auf dem Kommissariat wurde er als der 19-jährige Tischlergehilfe Leopold Bartl erkannt.

Transkript Ende

Schutzmänner um 1910
Wiener Stadtschutzmänner auf Streife im Prater, um 1910 (Bild WIKI gemeinfrei)

Transkript (Barbara Büchner) aus der Illustrierten Kronen-Zeitung, 15. 6. 1920 (Auszug):

Das Opfer.

Während der Mörder verfolgt wurde, hatten andere Nachbarn dessen unglückliches Opfer in eine Decke gehüllt und ins Elisabethspital gebracht. In dem Augenblicke, als die Übergabe erfolgte, erlag er seinen entsetzlichen Verletzungen.

Transkript Ende.

Bezirkskrankenhaus Sechshaus
Bezirkskrankenhaus Sechshaus um 1880

Das Kaiserin-Elisabethspital in der Huglgasse 1-3 (nahe der heutigen U-Bahn-Station Schweglerstraße) wurde 1890 fertig gestellt. Vorläufer war das Bezirkskrankenhaus Sechshaus in der Sechshauserstraße 58-60). Es wurde 1857 zur Aufnahme der Kranken einer Anzahl umliegender Gemeinden erbaut.

In den folgenden Jahrzehnten kam es zu zahlreichen Erweiterungen und Umbauten. 1891 wurde es in „K. k. Kaiserin- Elisabethspital“ umbenannt, vor dem Pavillon I wurde eine vom Bildhauer Viktor Tilgner geschaffene Büste der Kaiserin Elisabeth aufgestellt.

Zahlreiche bedeutende Ärzte wirkten hier; wegen der vielen erfolgreichen Struma-Operationen des Chirurgen Fritz Kaspar erhielt es von der Bevölkerung den Spitznamen „Kropfspital“. Am Freitag, dem 30. November 2012 wurde das Elisabethspital geschlossen, nachdem die Abteilungen in verschiedene andere Krankenanstalten abgesiedelt worden waren.

Das Opfer

Mittlerweile erfuhr man Näheres über das Opfer. Es war der Zuckerbäcker Franz Wittmann, am 18. August 1889 zu Orth an der Donau geboren, von seiner Gattin geschieden lebend.

Wittmann hatte im Hause Preysinggasse 21, das damals zum 14. Bezirk gehörte, zu ebener Erde eine Backstube und daran angrenzend eine bescheidene Wohnung. Der Mann galt als Sonderling. Die Witwe des Getöteten, Anna Wittmann, sagte vor Gericht aus, dass sie und ihre vier Kinder aus erster Ehe von ihrem Mann getrennt gelebt hätten.

Die Ehe hätte kaum acht Monate gedauert, da der Mann „mit den Buben Unschicklichkeiten machte“. Tatsächlich war Wittmann homosexuell und suchte häufig in der Weinhalle Wimberger am Neubaugürtel die Gesellschaft arbeits- und obdachloser junger Männer.

Bei diesen „Strichbuben“ war er beliebt, da er sie für ihre Dienste mit den köstlichen Produkten seiner Bäckerei bezahlte. Eine wahrhaftig zuckersüße Versuchung in den mageren Jahren kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges. Aber auch mit Geld dürfte der Zuckerbäcker nicht gegeizt haben, denn in einschlägigen Kreisen verbreitete sich das Gerücht, er sei ein schwerreicher Mann. Und dieses Gerücht wurde sein Todesurteil.

So sagte ein 12-jährige Bürgerschüler im Prozess aus, dass er dem Zuckerbäcker oft in der Werkstätte beim Strudelmachen half. Dafür bekam er Süßigkeiten.

Vors.: War er nett mit Ihnen?

Zeuge: Er hat mich manchmal geküsst.

Vors.: Sonstige Unschicklichkeiten sind nicht vorgefallen?

Zeuge: Nein.

Der arbeitslose Leopold Bartl, ein anderer häufiger Besucher in der Bäckerei in der Preysinggasse 21, wollte allerdings mehr als nur Strudel und Krapfen. Und da Franz Wittmann nach den Zeugenaussagen im Prozess beträchtlich größer und stärker war als er, entschloss er sich, ihn während einer gemeinsam verbrachten Nacht im Schlaf zu ermorden …

Die Weinhalle / das Gasthaus Wimberger befand sich Ecke Neubaugürtel / Märzstraße. Der Begründer Karl Wimberger kam mit 12 Jahren nach Wien, erlernte das Kellnergewerbe und übernahm bereits 1860 das Gasthaus „Alte Hühnersteige“ an der Mariahilfer Linie. Fünf Jahre später baute er Ecke Neubaugürtel/Märzstraße sein „Gasthaus Wimberger“ und 1870/71 schließlich am inneren Neubaugürtel das „Hotel Wimberger“. Mehr zu Karl Wimberger.

Strafbarkeit widernatürlicher Beziehungen („Sodomie und gleichgeschlechtliche Unzucht“ (II. § 71)

Noch unter Maria Theresia wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen als Kapitalverbrechen bestraft – mit Enthauptung und daran anschließender Verbrennung des Leichnams.

Ihr Sohn Joseph II erließ das Josephinische Gesetzbuch (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) für die deutschen Erbländer der Habsburger. Es war von 1. Jänner 1787 bis zum 31. Dezember 1811 in Kraft.

Auch darin wurde der geschlechtliche Umgang mit Tieren und gleichgeschlechtliche Beziehungen gleichgesetzt. Der aufgeklärte Kaiser schaffte die Todesstrafe insgesamt ab, beim nachfolgenden Strafgesetz von 1803 war die Todesstrafe jedoch für weitere bestimmte schwere Verbrechen wieder im ordentlichen Verfahren vorgesehen. Sodomie und gleichgeschlechtliche Unzucht (II. § 71) wurden mit Gefängnis bestraft, außerdem konnten ertappte Sünder mit Verbannung aus dem Geburtsort oder aus einem Ort, wo sich der Täter mindestens 10 Jahre lang aufgehalten hatte, bestraft werden.

Im Jahre 1852 erließ Kaiser Franz Joseph einen Reform-Paragraphen, der lange Gültigkeit behalten sollte: §129Ib bestrafte die „Unzucht wider die Natur mit demselben Geschlecht“ mit bis zu fünf Jahren schwerem Kerker.

§129: Verbrechen der Unzucht. I. wider die Natur.

Als Verbrechen werden auch nachstehende Arten der Unzucht bestraft:

I. Unzucht wider die Natur, das ist

a) mit Tieren;

b) mit Personen desselben Geschlechts.

§130: Strafe

Die Strafe ist schwerer Kerker von einem bis zu fünf Jahren.

Diese Regelung galt rund 120 Jahre lang. Erst als die SPÖ im Jahr 1971 die absolute Mehrheit erreichte, fiel im Rahmen der kleinen Strafrechtsreform das Totalverbot auf Homosexualität. Österreich war zu diesem Zeitpunkt eines der letzten Länder in Europa, das an einem Verbot von weiblicher und männlicher Homosexualität festgehalten hatte.

Transkript (BB) aus der Illustrierte Kronen-Zeitung, 11. Oktober 1920. Seite 6

Die Verhandlung gegen Leopold Bartl

Den Freund mit der Hacke erschlagen.

Wieder ein Raubmordprozess.

Der Zuckerbäcker Franz Wittmann lernte zu Weihnachten in der Weinhalle Wimberger den 19jährigen Tischlergehilfen Leopold Bartl kennen und dieser wurde von ihm zum Besuch seiner Wohnung eingeladen. (…)

Am 11. Juni suchte er seinen Bekannten vom Wimberger, Wittmann, wieder auf und schlief bei ihm. Ehe sich die beiden niederlegten, erzählte Wittmann, dass er sich viel Geld erspart habe und sich nächstens zur Ruhe setzen wolle. In Bartl tauchte nun der Plan auf, sich dieses Geldes

durch Ermordung Wittmanns

zu bemächtigen und er schritt am nächsten Tage an die Ausführung des Mordplanes.

Um 9 Uhr abends begaben sich Wittmann und Bartl, der wieder bei seinem Freunde übernachtete, zu Bette. Zwei Stunden später stand Bartl auf, begab sich in die Küche und holte eine Holzhacke.

Wittmann, der das Aufstehen seines Zimmergenossen nicht bemerkt hatte, lag im tiefen Schlaf, als Bartl mit der Hacke zurückkehrte. Bartl führte gegen den Schlafenden einen Hieb, der ihn am Halse traf. Wittmann fuhr empor und hatte noch die Kraft, auf den Gang zu eilen und um Hilfe zu rufen. Er wurde von dem Gastwirte Schremler in schwerverletztem Zustand aufgefunden. Bartl, der flüchtete, konnte eingeholt und verhaftet werden. Er hatte keine Zeit mehr gehabt, sich des Geldes Wittmanns zu bemächtigen. Wittmann wurde in das Elisabethspital gebracht, wo er nach 21 Stunden starb. Er war nach dem Gutachten der Gerichtsärzte infolge eines durch den Hieb verursachten Bruches des Kehlkopfes an Erstickung gestorben.

(…) Heute hat sich Leopold Bartl vor dem Schwurgericht wegen meuchlerischen Raubmordes zu verantworten. Wir werden über den Prozess, der um 10 Uhr begann, ausführlich berichten.

Transkript Ende

Der 19-jährige Tischlergehilfe Leopold Bartl war bisher unbescholten gewesen. Arbeitskollegen und HausbewohnerInnen schilderten ihn als braven, ordentlichen Burschen, der bescheiden gelebt hätte. Rohheiten hätte er sich nie zuschulden kommen lassen, höchstens ein mürrisches Wesen hätte man ihm ankreiden können: Er sei stets ernst, still, in sich gekehrt gewesen, hätte nie gelacht.

Der Gerichtspsychiater ließ sich von dieser äußeren Unauffälligkeit nicht täuschen: In seinem Gutachten bezeichnete er Bartl als gefühls- und gemütsarmen Menschen mit gewalttätigen Neigungen. Auf Richter und Geschworene machte er keinen guten Eindruck, weil er sein Geständnis widerrief und stattdessen „einen ganzen Roman“ erzählte.

Nachdem der Angeklagte anfangs eingestanden hatte, dass er es auf die Ersparnisse des Zuckerbäckers abgesehen und die Nacht in dessen Wohnung verbracht hatte, um den Schlafenden zu töten und zu berauben, änderte er seine Verantwortung nun vollkommen und präsentierte sich dem Vorsitzenden Dr. Khittel als züchtiger Jüngling, der aus Abscheu über die sexuellen Avancen des Zuckerbäckers zur Mordwaffe gegriffen hatte – „damit i mei Ruah hob.“

Angesichts der Tatsache, dass er eng mit dem allgemein als homosexuell bekannten Wittmann befreundet gewesen war und häufig in dessen Wohnung übernachtet hatte, wollte ihm der Vorsitzende die verfolgte Unschuld nicht so recht glauben.

Transkript BB: Illustrierte Kronen-Zeitung, 12. Oktober 1920, Seite 5

Leopold Bartl
Neue Illustrierte Kronenzeitung, 12.10.1920: Der Täter Leopold Bartl

Aus Abscheu vor Unsittlichkeit.

Der Angeklagte, ein bäuerlicher Bursche, stiernackig, von stämmigem Körperbau, bekennt sich schuldig. Den Wittmann schildert er als widernatürlich veranlagten Menschen, der ihn zu Unzuchtshandlungen verleiten wollte. Auch in der kritischen Nacht sei dies geschehen und aus Abscheu und Zorn darüber habe er auf Wittmann, der ihn nicht aus der Wohnung lassen wollte, mit der Hacke losgeschlagen.

Vors.: Also Sie wollten an dem Mann, weil er Ihnen Unsittlichkeiten zumutete, eine Strafe vollziehen, die die Volksvertretung abgeschafft hat – die Todesstrafe. – Angekl.: Nein, I hab eahm net derschlag´n woll´n, nur Ruah wollt´ ich ma verschaffen. – Vors.: Warum haben Sie den ganzen Roman nicht früher erzählt? Ich mache Sie aufmerksam, dass ein aufrichtiges Geständnis Ihre Lage erleichtert. Was Sie heute sagen, steht mit Ihren früheren Angaben im Widerspruch. – Angekl.: Was ich jetzt sag´, ist die Wahrheit. – Vors.: Sie wussten, dass er viel Geld erspart hat. – Angekl.: Ja, i wollt´ er´ms stehlen. – Vors.: Was hat er sich denn zuschulden kommen lassen? – Angekl.: Er hat mich umschlungen und geküsst.

Nach der Hacke das Messer.

Dann schildert der Angeklagte weitere angebliche Unsittlichkeiten des Wittmann, die sich der Wiedergabe entziehen. Angeklagter sei aufgesprungen und in die Küche geeilt. Hier sah er eine Hacke lehnen, griff instinktiv darnach, um sich gegen weitere widernatürliche Angriffe zur Wehr zu setzen, und als Wittmann sich dazu anschickte, habe Angeklagter blind zugeschlagen.“

Transkript Ende

Ein gräuliches Gemetzel folgte. Die Hacke war bei dem Schlag abgebrochen, wobei das Eisenteil blutbespritzt ins Bett fiel. Nun ergriff Bartl ein Küchenmesser, stach Wittmann zwei Mal in den linken Arm, wobei er ihm die Schlagader durchtrennte, sodass der Verwundete blutüberströmt auf den Gang hinaus torkelte.

Das war der Augenblick, in dem der Gastwirt Alois Schremler, aufgeschreckt von dem Poltern und Lärmen nebenan, auf den Gang hinauseilte. Dort sah er Wittmann im blutbefleckten Nachtkleid, wie er röchelnd gestikulierte. Der Hackenhieb hatte seinen Kehlkopf zertrümmert, er konnte nicht sprechen, nicht klagen, er konnte nur nach seinem Halse deuten, der dem Wirt in der Dunkelheit stark angeschwollen erschien.

Während andere Hausparteien sich um den Verletzten bemühten, dachte der gewitzte Wirt sofort daran, dass der Täter sich noch in der Wohnung befand und versuchen würden, durch das Fenster zu flüchten. So schnell er konnte, stürzte er auf die Straße hinaus und kam tatsächlich eben zurecht, als Bartl durch das Fenster des Ladens davonlaufen wollte. Obwohl Schremler wusste, dass er es mit einem äußerst brutalen und zu allem entschlossenen Mörder zu tun hatte, stürzte er sich auf den jungen Mann, riss ihn nieder und hielt ihn fest, bis die inzwischen alarmierten Schutzmänner eintrafen.

Das Urteil

Die Geschworenen erkannten den Angeklagten des Raubmordes einstimmig schuldig, aber mit dem Zusatz, dass er nicht in tückischer Weise gehandelt habe. Der Gerichtshof verurteilte Bartl zu fünfzehn Jahren schweren Kerkers, verschärft mit hartem Lager und einsamer Absperrung in dunkler Zelle an jedem Jahrestag der Bluttat.

Der Vorsitzende belehrt den Verurteilten, dass er bei guter Aufführung in der Strafhaft nur zwei Drittel der Strafe zu verbüßen brauche.

Das StGB 1852, nach dem Leopold Bartl verurteilt wurde, beruhte weitestgehend auf dem sogenannten Josephinischen Gesetzbuch. Ende des 18. Jahrhunderts hatte Josef II den Strafvollzug reformiert, indem er eine neue Gerichtsordnung einführte (Trennung der Justiz von der Verwaltung, Auflösung aller Sondergerichte, auch jener der Kirche), die 1787 in Kraft trat (Todesstrafe nur noch bei Standrecht, ansonsten Ersetzung durch Zwangsarbeit); damit trat die Constitutio Criminalis Theresiana (1770) außer Kraft.

Er modernisierte den Strafvollzug, indem er anstelle der Festungskerker unter anderem zivile Staatsgefängnisse errichten ließ, die die Grundlage bildeten für den heutigen Justizvollzug. Nur für Schwerstverbrecher blieben zwei Festungskerker bestehen, der Schlossberg bei Graz und der gefürchtete Brünner Spielberg mit seinen Kasematten (unterirdischen Kerkerzellen, in denen die Gefangenen an die Wand geschmiedet wurden).

In Anbetracht der Gesetzeslage ist das gegen Leopold Bartl gefällte Urteil so außergewöhnlich milde, dass es den Gesetzestext geradezu ignoriert, denn der lautet im StGB 1852:

§ 135: Arten des Mordes sind:

  1. Meuchelmord, welcher durch Gift oder sonst tückischer Weise geschieht.
  2. Raubmord, welcher in der Absicht, eine fremde bewegliche Sache mit Gewalttätigkeiten gegen die Person an sich zu bringen, begangen wird.

(…)

§ 136: Strafe des vollbrachten Mordes: a) für den Täter, Besteller und die unmittelbar Mitwirkenden;

Jeder vollbrachte Mord soll sowohl an dem unmittelbaren Mörder (…), mit dem Tode bestraft werden.

§ 141: Strafe des räuberischen Totschlages.

Wenn bei der Unternehmung eines Raubes ein Mensch auf eine so gewaltsame Art behandelt worden, dass daraus dessen Tod erfolgt ist (§ 134), soll der Totschlag an allen denjenigen, welche zur Tötung mitgewirkt haben, mit dem Tode bestraft werden.

Den Raubmord hatten die Geschworenen bejaht, und was ist wohl tückischer, als einen friedlich Schlafenden – mit dem man kurz zuvor noch Zärtlichkeiten ausgetauscht hat – mit einer Axt so wuchtig auf die Kehle zu schlagen, sodass ihm der Kehlkopf zertrümmert wird? Und selbst wenn man nur auf Totschlag erkannt hätte: Wurde Wittmann nicht „bei der Unternehmung eines Raubes“ so furchtbar misshandelt, dass er fast auf der Stelle starb? In allen drei Fällen wäre also ein Todesurteil angebracht gewesen.

„Wer die Verfemten der Gesellschaft tötete, und sei es aus den niedrigsten Motiven heraus, konnte mit Milde rechnen.“ (Barbara Büchner)

meine meinung

Warum entfernte sich das Urteil so weit vom Wortlaut des Gesetzes, warum wurde dem Täter sogar noch zukünftiger Strafnachlass in Aussicht gestellt? Aus dem Zeitgeist heraus ist es leicht zu verstehen: Zweifellos nahmen Richter und Geschworene an, um einen „widernatürlichen Menschen“, einen Homosexuellen, „sei eh ka Schad g´wesen.“ Wer die Verfemten der Gesellschaft tötete, und sei es aus den niedrigsten Motiven heraus, konnte mit Milde rechnen.


Weitere Infos:

Preysinggasse (15, Rudolfsheim), benannt nach Karl Preysing (1798-1880) – 1878 bis 1879 Bürgermeister von Rudolfsheim. Er wurde am Baumgartner Friedhof begraben, seine letzte Ruhestätte ist jedoch nicht mehr auffindbar.

Das berühmteste Gebäude der Preysinggasse: Wohnhaus Nr. 10, errichtet 1897 nach Plänen von Professor Max Fabiani, einem engen Mitarbeiter Otto Wagners.

Preysinggasse_Fabiani
Preysinggasse 10, Bild: Wien-Wiki, gemeinfrei

Fabiani gilt als einer der Väter der modernen Architektur in Wien. Otto Wagners berühmte Publikation „Moderne Architektur“ geht wahrscheinlich auf Fabianis Mitschrift seiner Vorlesungen zurück.

Noch bevor er Wagners Mitarbeiter wurde, hatte er schon bahnbrechende Bauten einer funktionalistischen Moderne entworfen. Zwei Jahre lang arbeitete er mit Otto Wagner zusammen, , wo er am Bau der Wiener Stadtbahn mitwirkte.

Von 1896 bis 1912 war er außerordentlicher Professor für Kunstgeschichte an der TH Wien. Außerdem war er von 1896 bis 1917 als freiberuflicher Architekt tätig. Eines seiner wohl bekanntesten Bauwerke ist die Wiener Urania (1910).

Fabiani
Der Architekt Max Fabiani

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Kontakt: office@bm15.at

Video zum Beitrag

Quellen:

  • ANNO
  • Wien-Wiki

Hier finden Sie alle Artikel unserer Serie „History & Crime in Rudolfsheim“

Teil 1: Die Verhaftung des Einbrecherkönigs Johann Breitwieser (1918)
Teil 2: Die Hyäne der Armen – Der Kinder-Betrüger Georg Prödinger (1905)
Teil 3: Von einer Greisin erstochen – Das Ende des „Revolvergustl“ (1928)
Teil 4: Der Gattinnenmörder Anton Karner – Eifersucht in der Enge der Proletarierwohnung (1913)
Teil 5: Motorführer Johann Prügl als Dienstmädchenmörder (1905)
Teil 6: Der Raubmörder und der tapfere Wirt (1920)
Teil 7: „Noch 48 Stunden, dann hol ich ihn mir, den Hager“ (1911)
Teil 8: Eine Greisin im Schlaf abgeschlachtet: Der Raubmörder Anton Senekl (1902)
Teil 9: Raubmord an einem Kind – Der Fall Rudolf Kremser (1914)

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In unserer Broschüre „Blut im Beisl. Historische Kriminalfälle in Gasthäusern des 15. Bezirks um 1900“ können Sie weiterschmökern.


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Jede Belehrung und Berichtigung, welche in Beziehung auf größere Vervollkommnung und Gemeinnutzmachung dieser Herausgabe beabsichtigt ist, wird mit dem ausgezeichnetsten Danke empfangen.

(*) Wiens nächste Umgebungen an den Linien, herausgegeben von Anton Ziegler und Carl Graf Vasquez, Wien 1827-1828

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